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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz
Autoren: Arne Dahl
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haben Sie mich identifiziert?«
    Er betrachtete sie. War sie trotz allem sozusagen beruflich hergekommen? Das war kein gutes Gefühl.
    Sie sah sofort, daß es kein gutes Gefühl war.
    »Verzeihung«, sagte sie. »Ich wollte nicht schnüffeln. Eigentlich wollte ich nur nach Großvaters Tagebuchblättern fragen.«
    »Die sollten wohl Ihnen gehören«, sagte Söderstedt.
    »Aber ich habe nur Kopien. Die können Sie bekommen.«
    »Danke.«
    Dann erzählte er. Wider besseres Wissen. »Ich habe Sie über Ihren Vater gefunden«, sagte er. »Da habe ich verstanden, was Sie durchgemacht hatten.«
    »Mein Schicksal ist kaum einzigartig«, sagte sie. »Es ist – europäisch.«
    Er gab ein etwas bitteres Kichern von sich und sagte:
    »Jetzt bin ich an der Reihe, technisch zu werden. Wie kamen Sie auf die Methode? Warum schlossen Sie sich an das Forscherteam in Weimar an?«
    »Ghiottone übernahm das Bordell in Odessa. Es war in der Zeit, als Marco di Spinelli seinen Palast noch verließ. Er besuchte uns. Er ›testete die Mädchen‹, wie er sich ausdrückte. Mich mochte er so gut leiden, daß er im Eifer des Gefechts mit richtig widerwärtigen Kriegsverbrechen prahlte. Das machte ihn so richtig geil. Und er sagte Weimar. In dem Augenblick beschloß ich, ihm seine eigene Medizin zu verabreichen. Damit fing alles an. Daß ich mir di Spinelli vornahm. Das war der Ausgangspunkt. Und die Methode, die er beschrieb, hörte sich gut an. Dann wurden wir die ganze Zeit von seinem Kotzbrocken von Handlanger Artemij Tolkatjenko mißhandelt. Und als wir uns schließlich durchgerungen hatten, war es einfach logisch, bei ihm anzufangen. Wo er sich auch befand. Es zeigte sich, daß er in England war. Manchester. Danach fingen wir an, uns ausschließlich richtig abscheuliche Zuhälter vorzunehmen. Aber wir waren die ganze Zeit zu Marco di Spinelli unterwegs.«
    »Dann ist es jetzt vorbei? Die Erinnyen werden Eumeniden?«
    »Wir werden sehen«, sagte Magda und lächelte in sich gekehrt. »Als wir aus Odessa abgehauen und von den Drogen runter waren, bin ich also nach Weimar gefahren, um zu sehen, womit er im Krieg zu tun hatte. Es gab da eine Menge Geheimniskrämerei, aber am Ende landete ich mit Hilfe eines falschen Zeugnisses im Schmerzzentrum, wo ich kleine Hilfsjobs übernahm. Mir wurde klar, daß er dort gewesen war. Und ich suchte. Nachts war ich oft allein da. Schließlich fand ich eine von diesen Nadeln und begann zu verstehen, wie es funktionierte. Ich fand auch ein Papier aus einem Archiv. Es war ein verdammter Schock. Der Name Leonard Sheinkman wurde im Zusammenhang mit einem Tagebuch erwähnt. Es stand ausdrücklich da, daß er tot war und daß der sogenannte Schwede das Tagebuch an sich genommen hatte. Ich begriff, daß das mein richtiger Großvater war. Mein Vater hatte erzählt, daß er als Kind Sheinkman geheißen hatte und daß sein Vater aus Buchenwald weggebracht worden war. Ich verbrannte das Papier und prägte mir alles ein. Was ich habe, ist die Erinnerung. Mit der Erinnerung arbeite ich. Später nahm ich mir Papas Hinterlassenschaft vor, nur ein paar lose Blätter. Da fand ich Notizen, die sich auf ein Schiff mit dem Zielhafen Stockholm bezogen. Im Telefonbuch von Stockholm fand ich den Namen Leonard Sheinkman. Den Namen meines Großvaters. Ich begriff, daß er der sogenannte Schwede sein mußte. Der sich als Großvater ausgab. Und er hatte Papa getötet. Nicht nur Großvater, sondern auch Papa. Derselbe Mann hatte sie beide getötet, Papa und Großvater.«
    »Sie haben ihn über dem Grabstein Ihres Vaters aufgehängt. Er war auf dem Weg dahin.«
    »Wirklich? Das wußte ich nicht«, sagte Magda und sah echt überrascht aus. »Er war ein paar Tage in der U-Bahn herumgereist, als wäre er auf dem Weg irgendwohin. Er hat wohl mit dieser Reise sich selbst und seine Verbrechen eingeholt.«
    »Apropos U-Bahn«, sagte Arto Söderstedt. »Sie haben nur richtige Schwerverbrecher ermordet, Mörder und Frauenschänder. Die drei Gorillas im Palazzo Riguardo waren auch schwer kriminell. Und das war Ihnen wohl vorher klar?«
    »Ja.«
    »Aber die U-Bahn in Stockholm? Odenplan? Das war ein Einwandererjunge, der Handys klaute. Er hieß Hamid al-Jabiri. Hatte er es verdient, in Stücke gerissen zu werden?«
    »Nein«, sagte Magda schwer. »Es ist einfach passiert.«
    »Adrenalin?«
    »Vermutlich.«
    »Sehen Sie nicht, daß es außer Kontrolle gerät? Bald wird die Gewalt zum Selbstzweck werden. Bald werden Sie genauso verblendet sein wie
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