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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde
Autoren: Andreas Winkelmann
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sie fallen.
    Melanie reichte ihr die halbleere Wasserflasche. »Hart, aber gut.«
    Da Natalie trank, konnte sie nur nicken. Nachdem sie die Flasche abgesetzt hatte, rülpste sie leise und sagte: »Was machst du am Wochenende?«
    Melanie überlegte kurz. »Wenn ich wieder das Auto meiner Mutter bekomme, könnten wir zu Meyers Tanzpalast fahren«, schlug sie vor.
    Natalie boxte ihr spielerisch gegen den Oberschenkel. »Weil Timo da ist, oder?!«
    Gut, dass ihr Kopf vom Training schon gerötet war, so fiel die neue Röte, die ihr jetzt in die Wangen schoss, gar nicht auf. Aufgesetzt lässig zuckte Melanie mit den Schultern.
    »Weiß nicht. Ist er da?«
    Natalie lachte, wollte etwas erwidern, wurde aber von Vera unterbrochen, die in diesem Moment den Umkleideraum betrat.

    »Los Mädels, geht duschen. In einer Viertelstunde schließt der Hausmeister hier ab, und ihr wisst, wie laut der werden kann.«
    Ja, das wussten sie, und keines der Mädchen wollte es sich mit dem alten Plumberg verderben, also sprangen alle gleichzeitig auf, zogen sich aus und gingen duschen. Als Melanie und Natalie wenig später mit noch feuchtem Haar die Turnhalle verließen, stand der Hausmeister bereits in der Tür und wedelte auffällig mit seinem schweren Schlüsselbund.
    »Danke fürs Warten«, flöteten die beiden unisono und kicherten los, kaum dass sie außer Hörweite waren.
    Es hatte geregnet. Auf dem Parkplatz standen Pfützen, die Autos glitzerten nass im Licht der weißen Lampen.
    »Ich kanns kaum noch erwarten, dass es endlich Sommer wird«, sagte Melanie. »Ich hasse es, im Dunkeln zurückfahren zu müssen.«
    »Kann ich verstehen, bei der Strecke«, sagte Natalie, und all das, was sie nicht aussprechen mochte, lag fast drohend zwischen ihren Worten.
    Die beiden verabschiedeten sich mit einer kurzen Umarmung. Melanie warf ihre Sachen auf den Beifahrersitz, startete den Motor und verließ den Parkplatz der Turnhalle. Im Dorf selbst brannte noch die Straßenbeleuchtung, doch bald ließ sie auch die letzte Laterne hinter sich, und die Scheinwerfer schnitten durch tiefe Dunkelheit. Nicht weit hinter dem Ortsschild führte die Kreisstraße durch den Wald. Als die dicht stehenden Bäume das Schwarz noch schwärzer machten, spürte Melanie einen Kloß im Hals und einen Klumpen im Magen. Beinahe automatisch fuhr sie langsamer.
    Plötzlich rissen die blutroten Augen der Ampeln zwei Löcher
in die nasse Dunkelheit. Sie waren noch zwei Kilometer entfernt, und doch blendeten sie Melanie Meyer mit jener hypnotisierenden Intensität, die immer wieder aufs Neue völlig überzogene Reaktionen bei ihr auslöste. Eine eiskalte Klammer legte sich um ihr Herz, ihre Hände – auf einmal verschwitzt – packten das Lenkrad mit einer Kraft, die nicht zu ihren dünnen Armen passte.
    Im Fernlicht der Scheinwerfer sah sie, wie sich die reflektierenden Halbschranken senkten.
    »Scheiße!«, fluchte sie laut und hieb aufs Lenkrad.
    Automatisch ging ihr Fuß vom Gas. Wenn sie nur langsam genug fuhr, den Wagen einfach ausrollen ließ, würden sich die Schranken vielleicht wieder öffnen, bevor sie sie erreichte. Nur nicht anhalten, hier im Wald, im Dunkeln, allein.
    Dieser einsame Bahnübergang im tiefen Wald, den sie passieren musste, wenn sie in ihr spießiges Dorf zurückwollte, war ihr noch nie geheuer gewesen. Früher war es nur ein ungutes Gefühl gewesen, ein Ziehen im Bauch, ein Kribbeln unter der Kopfhaut, doch seit einem Jahr gesellten sich nach und nach heftigere körperliche Reaktionen dazu – flache Atmung, verschwitzte Hände, rasender Herzschlag -, alles Vorboten für eine regelrechte Panikattacke. Natalie und ihren anderen Freundinnen aus dem Kurs gegenüber würde sie es nicht zugeben, sich selbst aber machte Melanie nichts mehr vor. Angst und Panik. Wegen einer geschlossenen Schranke im Wald.
    Ein paar Hundert Meter noch. Warum fraß das Auto die Strecke derart schnell, sie gab doch kaum noch Gas!?
    Ein unbeleuchteter Güterzug zog langsam vorbei. Waggon um Waggon. Das Rumpeln übertrug sich durch den Boden bis in ihren Wagen, so nah dran war sie bereits. Vielleicht
hatte sie heute Glück! Vielleicht war es der einzige Zug und sie brauchte nicht anzuhalten.
    Der letzte Waggon nahm diesen Wunsch mit in die Nacht, hinterließ jedoch unerfüllte Hoffnungen, denn die Schranken rührten sich nicht von der Stelle. Ungnädig versperrten sie weiterhin den Weg. Melanie drückte den Knopf in der linken Armablage, und mit einem leisen Geräusch
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