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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
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Kellertreppe runter. Immerhin gehorchte sie, darum verbiss ich mir eine Zurechtweisung. Ich merke schon seit Längerem, dass ich in den Augen meiner Tochter keine vollwertige Frau bin. Die Mütter ihrer Freundinnen waren alle berufstätig. Hausfrauen fand sie total uncool. Außerdem nervte sie meine Anwesenheit. Sie hätte das Haus am liebsten für sich allein.
    Ich habe, bevor die Kinder geboren wurden, als Produktionssekretärin bei einer Filmfirma gearbeitet. Und dann Elternzeit genommen. Dass wir gleich drei Kinder bekamen, war nicht geplant gewesen, aber jetzt ist es umso schöner. Ich bin immer deutlich stolz, wenn ich sage: Ich habe drei Kinder. Und einen Mann. Das hört sich doch besser an, als zu sagen: Ich bin Rechtsanwältin, alleinstehend, leider kinderlos. Oder: Ich bin Rechtsanwältin, kinderlos, und mein Freund ist erfolgreicher Schönheitschirurg. Wir haben ein Penthouse und schicke Klamotten und reisen gern. Wir schaffen es kaum, das viele Geld wieder loszuwerden! Furchtbar, dieser Stress!
    Wie bemitleidenswert!
    Natürlich kränkt es mich darum umso mehr, wenn die Kinder mich respektlos behandeln. In schwachen Momenten wirft mich das völlig aus der Bahn, weil mein schöner Lebensentwurf dann Risse bekommt.
    Gerald sagt immer: Mein Gott, Gundula, das ist die Pubertät. Kinder müssen sich ihren Freiraum erkämpfen!
    Ich antworte: Wieso erkämpfen? Ich lasse ihnen doch ihren Freiraum. Aber sie meckern trotzdem immer an mir rum! Und er sagt: Na ja, du bist eben wirklich immer zu Hause.
    Das ist das Problem fast aller Mütter. Wir machen uns so viele Gedanken darüber, alles richtig zu machen, dass wir am Schluss den Faden verlieren und vergessen, wo der Anfang war.
    »Was starrst du so?« Rolfi stand immer noch in der Küche und sah mich merkwürdig an. »Ach, Rolfi, manchmal bin ich ganz traurig, weil ich das Gefühl habe, ich mache alles falsch.«
    Er sah mich an und umarmte mich ganz fest: »Mama, das ist doch nicht ernst gemeint. Wir haben dich voll lieb!«
    Ich sah in seine wunderschönen grünen Fast-noch-Kinderaugen, gab ihm einen Kuss und unterdrückte Tränen der Rührung: »So, jetzt muss ich mich aber ranhalten, die Gäste kommen, und der Tisch ist noch nicht gedeckt! Ruh dich noch ein bisschen aus, mein Großer!«
    Dann öffnete ich den Schrank, um das gute Geschirr herauszunehmen.

9.
    Kapitel
    Ich hatte gerade die Tassen aus dem Schrank genommen, als es an der Tür klingelte. Ich guckte durchs Fenster und sah meine Eltern vor dem Gartentor stehen. Meine Mutter begutachtete die Fassade des Hauses und hielt meinen Vater am Arm. Der blickte auf seine Schuhe und schien etwas zu suchen. Beide wirkten zerbrechlich und hilflos. Sie waren alt geworden. Ich ging zur Haustür und öffnete, als es noch einmal klingelte.
    »Ich komm ja schon! Seid doch nicht so ungeduldig!«
    »Hast du uns später erwartet?« Meine Mutter versuchte die Gartentür zu öffnen.
    »Lass mal, Mama, die klemmt!«
    Sie rüttelte weiter und ließ meinen Vater los, der sich sofort umdrehte und die Straße hinuntersah: »Jetzt ist der Trottel ohne uns losgefahren.«
    Ich sperrte das Tor auf und umarmte meine Mutter. Das graue Haar hing ihr strähnig ins Gesicht. Sie sah erschöpft und unglücklich aus. Mein Vater drehte sich zu mir: »Wo kommst du denn auf einmal her?«
    »Ich wohne hier, Papa. Wir feiern zusammen Weihnachten!«
    »Ach, das ist ja schön. Sind die anderen auch da?«
    »Ja, nur Susanne fehlt noch, die kommt etwas später.«
    »Susanne?«
    »Die Mutter von Gerald. Wir haben uns alle auf euch gefreut, Matz baut schon den ganzen Morgen einen Parcours für Rüssel, er will mit dir ein Rennen starten.«
    Bevor mein Vater fragen konnte, sagte meine Mutter: »Matz ist dein Enkel.«
    »Na hör mal, das weiß ich doch!« Er lief an uns vorbei und trabte die Treppen hoch. Wir blickten ihm nach.
    »Er läuft erstaunlich gut«, sagte ich.
    »Ja, leider.«
    Dann folgten wir ihm ins Haus. Das haben wir übrigens von Geralds Erbe bezahlt. Es ist klein und sieht genauso aus wie alle anderen Häuser in der Straße. Wir haben es irgendwann grün gestrichen, damit wir nicht ständig daran vorbeilaufen, wenn wir nach Hause wollen. Danach haben unsere Nachbarn drei Wochen nicht mehr mit uns gesprochen, bis wir ein Grillfest in unserem Garten veranstalteten. Dafür mussten wir die Urlaubskasse plündern und den Sommer zu Hause verbringen. Gerald war stinksauer: »Was kümmert es mich, ob mich die Nachbarn grüßen?«
    Und ich
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