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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
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Kuss auf die Wange zu drücken. Anscheinend hatte sie immer noch Schmerzen, sie bewegte sich irgendwie spiralförmig, was bei ihrer Körperfülle etwas unbeholfen wirkte.
    Mein Vater zuckte zusammen, als sie ihn berührte.
    »Gundula, gib ihr das Geld, damit sie mich durchlässt.«
    Rose und ich schauten uns an. »Welches Geld, Papi?«
    »Fürs Klo. Was kriegen die immer? Zehn Pfennig?«
    Roses Augen füllten sich mit Tränen, und ihre rote Gesichtsfarbe biss sich unglücklich mit dem Gelb des Rollkragenpullis. Ich berührte kurz ihren Arm und sagte: »Er braucht noch ein bisschen.«
    Mein Vater hatte schon die Türklinke umfasst und rüttelte daran. »Wie geht das Scheißding auf?«
    »Da ist besetzt. Hans-Dieter …« Rose blickte kurz an die Decke, als würde sie dem lieben Gott ein Stoßgebet schicken. »Es geht ihm nicht gut. Das war alles zu viel für ihn heute Morgen. Er ist das Reisen nicht mehr gewohnt. Mein armer Hadi.«
    Hadi, was für ein lächerlicher Kosename.
    »Wovon redet die?« Mein Vater sah mich an.
    »Dein Sohn Hans-Dieter hat sich den Magen verdorben und übergibt sich gerade da drin«, sagte ich nur.
    »Na ja, so schlimm ist es nicht«, sagte Rose. »Er hat nur ganz, ganz schlimmen Durchfall.«
    »Ich kenne keinen Hans-Peter«, sagte mein Vater.
    »Mama?« Matz kam die Treppe runtergestürmt. »Mama! Ich krieg Rüssel nicht mehr unter dem Schrank raus!«
    »Matz, würdest du bitte erst mal deinen Opa und Tante Rose begrüßen?«
    »Tante Rose hab ich schon. Hallo Opi!« Er umarmte kurz und stürmisch meinen Vater. Der beachtete ihn aber nicht.
    »Wer ist Rüssel?«, fragte Rose.
    In der Toilette ging die Spüle, und mein Vater starrte wie gebannt auf die Türklinke.
    »Mama! Ich glaube, er steckt fest. Ich hab ihm eine Rutsche vom Schrank runter zum Boden gebaut, aber er hat sich auf halber Strecke überschlagen und ist von der Bahn abgekommen.«
    »Oh, mein Gott!«
    »Ja, er hat noch ein paar Saltos geschlagen und ist auf den Boden geknallt. Dann wollte ich ihn nehmen, aber er ist unter dem Schrank verschwunden.«
    Ich schüttelte den Kopf und strich Matz die Haare aus der Stirn. »Das hätte ich an seiner Stelle auch gemacht.« Matz’ Lieblingsfilm war Cars , und er konnte einfach nicht einsehen, dass Meerschweinchen keine Autos sind.
    Die Klotür ging auf, und mein Bruder erschien. Er war aschfahl und musste sich am Türrahmen festhalten. Mein Vater starrte ihn an wie den Leibhaftigen.
    Mein Bruder schob sich wortlos an uns vorbei und schwankte ins Wohnzimmer. »Hadi« sackte auf die Couch und rührte sich nicht mehr.
    »War das Onkel Hans-Dieter? Der sah ja scheiße aus. Hallo Opi!« Ricarda kam die Treppe herunter und gab ihrem Opa einen Kuss. Papa stand immer noch im Türrahmen zur Toilette und versuchte sich daran zu erinnern, was er eigentlich dort wollte. Das Chaos um ihn herum schien er nicht recht wahrzunehmen.
    Früher hatte er als Jurist gearbeitet. Er hatte immer sehr genau verstanden, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Als Kind habe ich ihn eigentlich nie zu Gesicht bekommen. Im Nachhinein glaube ich, dass er uns Kinder nie wahrgenommen hat, weil wir ihn vom Wesentlichen ablenkten. Als er in Rente ging und ich meine Chance witterte, ihm zu zeigen, was er für eine tolle Tochter hat, war es zu spät. Da hatte sein Vergessen schon begonnen.
    Jetzt atmete er tief ein, hielt die Luft an und betrat entschlossen Hans-Dieters Refugium. Seinen Geruchssinn hatte er nicht verloren.
    Ricarda sagte: »Ist das eklig. Ich glaub, ich feiere woanders.«
    Da klingelte es an der Haustür. »Mach mal bitte auf, das ist Oma Susanne«, sagte ich und sah Ricarda an.
    »Wieso ich?«
    »Wieso du nicht?«
    »Warum stresst du immer so!« Sie schlurfte zur Haustür, öffnete und sah hinaus. »Hallo Oma!« Nichts passierte. Dann rief sie: »Einfach fest drehen, dann geht sie irgendwann auf!«
    Ich trat neben Ricarda und sah nach draußen. Meine Schwiegermutter warf sich rhythmisch gegen das Gartentörchen.
    »Sag mal, spinnst du, Ricarda? Kannst du ihr vielleicht mal helfen!«
    Es hatte wieder angefangen zu regnen, und Oma Susanne tropfte das Wasser aus den Haaren. Ich rannte an Ricarda vorbei die Stufen hinab und öffnete das Törchen. »Ach, Susanne, entschuldige, diese verflixte Gartentür!« Ich nahm ihren Koffer und half ihr die Stufen hoch. Sie schüttelte ihr Haar und lachte: »Ach Schätzchen, was wäre das Leben ohne Überraschungen!« Dann rief
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