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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
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sich die Schnürsenkel zu und murmelte: »Das musst du mir aufschreiben. Das kann ich mir nicht merken.«
    »Meine Güte, stell dich doch nicht so an!« Ich seufzte. Einkaufen war nun wirklich keine Sklavenarbeit, das erledigte ich jeden Tag. Aber Gerald ließ seiner schlechten Laune freien Lauf und fügte allen Ernstes hinzu, dass meine Enten sowieso zäh und ungenießbar werden würden. Er kann ziemlich uncharmant werden.
    »Hühnchen bekomme ich auch meistens hin.«
    »Hühner sind keine Enten.«
    »Nein, aber sie haben auch Flügel und gehören biologisch gesehen zur gleichen Familie.«
    Er schüttelte nur den Kopf und brummte: »Das wird mir langsam ein bisschen zu viel Familie.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Das soll heißen, dass vor allem deine Familie uns besuchen kommt.«
    Damit hatte er recht, und ich spürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Neben meinen Eltern erwarteten wir meinen Bruder Hans-Dieter mit seiner Frau Rose. Und Geralds Mutter Susanne.
    Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass sie sich untereinander nicht ausstehen können? Und trotzdem kommen sie jedes Jahr wieder.
    Meine Mutter Ilse zum Beispiel sagte, sie freue sich ganz besonders auf unser Wiedersehen. Da mein Vater Alzheimer in fortgeschrittenem Stadium hatte, hoffte sie, ihn ein bisschen an uns abgeben zu können. Mein Bruder Hans-Dieter sagte, er und Rose hätten ausnahmsweise nichts vor (sie haben nie etwas vor, aber das steht auf einem anderen Blatt) und kämen gern, aber ich müsste ihnen beim Kauf der Zugtickets unter die Arme greifen, sie seien etwas knapp bei Kasse, und unter vier Nächten würde sich die lange Anreise nicht lohnen. Hans-Dieter ist immer knapp bei Kasse. Er borgt sich ständig bei allen Familienmitgliedern Geld und ist beleidigt, wenn man es irgendwann zurückhaben will. Er ist der festen Meinung, ein verkanntes Genie zu sein, und dass das Glück ihn ignoriert, um sich irgendwelchen »Arschlöchern an den Hals zu werfen«. Genau so formulierte er es einmal.
    Hans-Dieter ist Schriftsteller. Er verfasst kleine Lebenshilferatgeber und ärgert sich, dass sie keiner kauft. Rose arbeitet bei der Kirche.
    Der unproblematischste Gast war Susanne. Sie ist pflegeleicht und packt auch mal mit an. Zumindest behauptet sie das gern von sich. Probleme gibt es in ihren Augen nur dann, wenn man sich darauf einlässt.
    Ich war mir allerdings ziemlich sicher, dass ein Problem auftauchen würde, das sich nicht umgehen ließ. Edgar. Mit meinem Vater nämlich hatte Susanne vor etwa dreißig Jahren eine heftige Affäre, und das wird ihr meine Mutter bis an ihr Lebensende nicht verzeihen. Wieso sollte sie auch.
    Wie jedes Jahr aber baute ich darauf, dass ein Festmahl helfen würde, die Wogen zu glätten. Bei gutem Essen werden ja die größten Streithähne schwach.
    Ich blätterte also den ganzen Nachmittag in meiner Kochzeitschrift und versank in den wunderschönen Bildern der verschiedenen Weihnachtsmenüs. Ich würde eine weiße Tischdecke auflegen und mit kleinen Tannenzweigen schmücken, die ich gemeinsam mit meinen Kindern im Wald sammeln wollte. Ein paar würde ich mit goldener Farbe besprühen, und an den Fenstern wollte ich selbst gebastelte kleine Sternchen aufhängen. Ich würde nur noch Goldlack und Bastelpapier besorgen müssen, dann könnte ich mit der Dekoration beginnen.
    Als die Kinder von der Schule kamen, versuchte ich meinen Sohn Rolfi zu unserem Schreibwarenladen um die Ecke zu schicken. Er hatte wie immer schlechte Laune, und unsere Diskussion um den Sinn und Unsinn goldener Weihnachtsdekoration zog sich so lange hin, bis das Geschäft fast geschlossen hatte. Rolfi hilft grundsätzlich ungern im Haushalt, aber schließlich trottete er doch los. Ricarda brauche ich gar nicht erst zu fragen, sie wird schlagartig taub. Das hat sie von ihrem Vater.
    Der Einzige, der immer gern hilft, ist Matz, aber der ist erst sieben und noch zu klein, um allein durchs Viertel zu laufen.
    Ich verbrachte den restlichen Nachmittag damit, Lametta an Türklinken und Fenstergriffe zu hängen. Ich hörte schon die begeisterten Ausrufe meiner Familie: »Oh, Mami, sieht das schön aus! Wie bist du denn auf die Idee gekommen? Danke! Du bist die Beste!«
    Stattdessen meldete sich mein Mann, der aus unerfindlichen Gründen mehrere Stunden für seinen Einkauf gebraucht hatte und jetzt erschöpft in seinem Sessel lag. Aber wenn ihm etwas nicht gefällt, ist er schlagartig hellwach.
    »Gundula, was soll das werden, wenn es fertig
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