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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
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reparieren.
    »Na, umso besser, dann könnt ihr ja ein bisschen mit anpacken!«
    »Das wird schlecht gehen«, sagte Rose. »Hans-Dieter hat’s wieder mit der Bandscheibe …«
    Ich sah meinen Bruder an. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und zuckte mit den Schultern.
    Hans-Dieter hat immer irgendwas. Vor allem dann, wenn er mit anpacken soll.
    »Ach, das tut mir aber leid«, log ich und umarmte beide kurz. Es war ja Weihnachten, und ich wollte die gute Stimmung im Haus nicht verderben. »Dann kommt mal rein, ich mach euch erst mal einen schönen Kaffee.«
    »Hast du auch Tee?« Mein Bruder stapfte die Eingangsstufen hinter mir hoch und stöhnte. Er hatte seine unvermeidlichen ausgebeulten Cordhosen an, und ich fragte mich, ob er wohl noch eine andere Hose besaß. Dann drehte er sich zu Rose um, die versuchte, zwei Koffer die Treppen hochzuschleifen.
    »Rose, lass mal, das ist zu schwer für dich, das können die anderen nachher noch reinholen.«
    »Oder sie nimmt die Koffer nacheinander, wir haben doch Zeit!«, wandte ich ein.
    Rose war ganz schön fett geworden, ihr Mantel platzte aus allen Nähten, ein bisschen Bewegung würde ihr guttun, dachte ich. Aber ich biss mir auf die Zunge.
    »Wann kommen unsere Eltern?«, fragte Hans-Dieter.
    »Gegen vier, zum Kaffee! Ich hoffe, da steht der Baum dann schon, Gerald sollte sich eigentlich …«
    »Hast du auch Tee?«, wiederholte er seine Frage. Der Baum schien ihn nicht zu interessieren.
    »Weiß ich jetzt nicht, ich muss mal gucken.«
    »Gundula, du weißt doch, dass ich keinen Kaffee trinken darf. Ich habe Kaffee noch nie vertragen.« Er schaute mich an und spielte den Gekränkten.
    »Nein, Hans-Dieter, das hab ich nicht vergessen, ich hab nur gerade so viel im Kopf, das ganze Essen, die Geschenke – ach Gott, die Enten muss ich …«
    »Aber du hast nicht dran gedacht!«
    »Hans-Dieter, glaub mir, du kriegst deinen Tee, ich muss nur …«
    Er tätschelte unbeholfen meinen Arm und kicherte. »Schwesterherz, das war doch nicht böse gemeint, ich trinke zur Not auch heißes Wasser …«
    Hinter uns polterte es. Ein spitzer Schrei, dann war es wieder still.
    »Rose!«
    Hans-Dieter stolperte die Stufen hinunter zu seiner Frau. Die lag rücklings am Fuß der Treppe und sah in ihrem gelbbraunen Mantel aus wie ein überdimensionaler toter Kartoffelkäfer.
    »Rose, um Himmels willen!«
    Sie starrte blicklos in den Himmel, und ich vergaß vor Schreck zu atmen. Dann öffnete sie plötzlich den Mund und machte ein Geräusch wie ein Kolikschaf, dem man auf der Weide einen Pfahl in den aufgeblähten Bauch rammt: »Pffffffffft.« Schließlich rollte sie auf die Seite und rappelte sich hoch. Ihr Gesicht war puterrot.
    Hans-Dieter umarmte sie zärtlich. »Rose!« Das muss wahre Liebe sein, dachte ich bissig. Gerald hätte mich wahrscheinlich liegen gelassen und sich schnell aus dem Staub gemacht.
    »Ich hab gewusst, dass mir der Koffer zu schwer ist, aber ich wollte nicht zur Last fallen mit dem ganzen Gepäck«, sagte Rose vorsichtig.
    Hast du Schmerzen? Sollen wir ins Krankenhaus?, lag es mir auf den Lippen zu fragen. Aber noch bevor ich diese Worte ausgesprochen hatte, wusste ich, dass ein Arztbesuch heute meine Planung ruinieren würde. Ich suchte deshalb die Flucht nach vorn: »Oh, mein Gott, ich rufe den Notarzt, du hast dir sicher was gebrochen, und das an Weihnachten, wo wir es uns doch so gemütlich machen wollten. Hoffentlich behalten sie dich nicht da!«
    Hans-Dieter und Rose sahen mich an, und ich meinte, in ihren Augen die schrecklichen Bilder zu sehen, die sie sich ausmalten. Rose in einem Gipskorsett in einem kahlen Krankenzimmer. Völlig bewegungslos, einsam, unter Schmerzen. Vor ihrem weißen Krankenhausbett auf einem Tischchen ein winziger Plastikweihnachtsbaum und ein kleiner Kassettenrekorder, der Weihnachtslieder von den Regensburger Domspatzen spielte.
    Rose fasste sich an den Hintern: »Nein, nein, es ist nur, ich bin aufs Steißbein geknallt, das hat richtig geknackt, und jetzt kann ich –«
    »Rose, so schlimm ist es nicht, gell? Atme tief durch, und leg dich drinnen erst mal etwas hin.« Hans-Dieter hatte sich wohl auch vorgenommen, das Weihnachtsfest ohne größere Zwistigkeiten durchzustehen. Rose griff mit ihren kleinen Patschhändchen nach Hans-Dieters Arm.
    »Stopp! Halt dich nicht an mir fest, bitte. Du weißt ja, ich kann keine Gewichte tragen. Halt dich an Gundula fest.«
    Ich ließ die Einkaufstüten sinken und kam meiner Schwägerin zu
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