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Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)

Titel: Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Sawatzki
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klatschnass, weil es mir nicht gelang, den verbogenen Regenschirm aufzuspannen. Ich schmiss ihn kurzerhand hinter die Hecke unserer Nachbarn und drehte mich nach Othello um. Er war nicht mehr da. Ich blickte wieder zu Gulliver, der regungslos und versonnen an einen Baumstamm gelehnt vor sich hin pinkelte. Gut. Dann lief ich zum Haus zurück.
    Othello saß noch immer vor der Haustür. Er hatte sich offenbar keinen Millimeter bewegt. Zitternd, mit herabhängenden Ohren und eingeklemmtem Schwanz, hockte er auf der Türschwelle und starrte in den Regen.
    »Othello!« Keine Reaktion. »Komm, Othello, Gassi gehen!«
    Er zuckte mit keiner Wimper. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. Eine Mischung aus Empörung und absoluter Resignation. »Los, komm jetzt. Das ist so egoistisch von dir, du Blödkopf. Ich werde auch nass. Verflixt, heute ist Weihnachten, und wir haben noch einiges vor!«
    Ich trug ihn auf die Straße. Er hing schlaff in meinen Armen und ließ alle viere hängen. Als ich ihn absetzte, guckte er strafend zu mir hoch. »Mach Pipi, los.« Er nieste. Gulliver stolzierte an uns vorbei und trollte sich Richtung Hauseingang. Ich wartete noch ein paar Sekunden, dann folgte ich ihm. Als ich die Haustür erreichte, saß Othello schon triumphierend davor. Geht doch.
    Im Haus war es immer noch still, also riss ich erst mal die Jalousien hoch, um meine Familie wach zu kriegen. Das funktioniert eigentlich immer. Die Rollläden sind aus Holz und machten wie immer einen Höllenlärm.
    Kurz darauf kam Rolfi die Treppe runtergetapst. Er hatte verquollene Augen und sah alles andere als ausgeschlafen aus. »Mann, Mama, ich hab Ferien, warum machst du so einen Krach? Es ist noch nicht mal sieben.«
    »Guten Morgen, mein Großer! Frohe Weihnachten!« Ich gab ihm einen Kuss und sagte: »Weck mal den Rest, Hans-Dieter und Rose kommen schon gegen neun.«
    »Wer?«
    »Dein Onkel Hans-Dieter und deine Tante Rose.«
    »Wieso kommen die denn so früh morgens?«
    »War die billigste Zugverbindung, die sind schon seit fünf unterwegs.«
    Ich schüttete Hundefutter in zwei Schüsseln und stellte sie in die Küchenecke. Gulliver, der neben dem Tisch gelauert hatte, stürzte vor und stieß mich beiseite. Ich versuchte noch, mich an Rolfi festzuklammern, aber dann krachten wir gemeinsam zu Boden.
    »Mann, das nervt vielleicht!«, rief er, rappelte sich auf und trottete wieder in sein Zimmer.
    »Hey! Nicht in diesem Ton, ja?«, sagte ich streng. Man soll mir nicht nachsagen können, dass ich meine Kinder nicht im Griff hätte.
    Ich stand auf und öffnete die Blaukrautdosen. Ich hatte gelesen, dass man Blaukraut ganz lang kochen muss, damit es richtig lecker schmeckt. Ich kippte alles in einen großen Topf und stellte ihn auf den Herd. Dann lief ich nach oben, um mich anzuziehen (den Hundespaziergang mache ich aus Bequemlichkeit immer im Morgenmantel).
    Ich wollte noch rasch los und ein paar allerletzte Besorgungen machen. Kurz schaute ich ins Schlafzimmer. Gerald war nicht zu sehen, er hatte sich wieder unter dem Kopfkissen versteckt. Das macht er immer so. Er wünscht sich wahrscheinlich, unentdeckt zu bleiben.
    Ich riss die Vorhänge auf und rief fröhlich: »Guten Morgen, Schatz! Frohe Weihnachten! Stehst du auch auf? Um acht kommt der Christbaum, der Ständer ist im Keller, der muss noch mit Sand gefüllt werden!«
    Keine Reaktion. Aber das hat bei Gerald nichts zu sagen, er steht immer erst auf, wenn ich nicht mehr in der Nähe bin.
    Das ist eigentlich ganz praktisch. Morgens ist er meistens nicht so gut gelaunt, da ist es besser, wenn man sich erst mal aus dem Weg geht.

6.
    Kapitel
    Als ich kurze Zeit später vom mit Einkaufstüten beladenen Fahrrad stieg, standen Hans-Dieter und Rose schon vor der Tür. Beide machten vorwurfsvolle Gesichter.
    »Wieso seid ihr denn schon da?«, rutschte es mir raus. »Ihr seid viel zu früh!«
    »Es ist gleich zehn, wir stehen hier schon seit Ewigkeiten. Im Haus scheint keiner zu sein, es hat jedenfalls niemand aufgemacht.«
    Ich sah auf meine neue Armbanduhr. Gerald hatte sie mir bei einem Kaffeeanbieter als verfrühtes Weihnachtsgeschenk gekauft, ich fand sie so hübsch, sie sah aus wie die, für die Nicole Kidman immer Werbung machte.
    Sie war um neun stehen geblieben. »Verflixt.«
    Ich schob das Fahrrad an den beiden vorbei, löste die Tüten von den Griffen und lehnte es an die Hauswand. Dabei fiel mir ein, dass Rolfi mir schon im Sommer versprochen hatte, den Fahrradständer zu
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