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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Autoren: Hermann Kurzke
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außen verschwiegen, hinterlassen aber eine breite, wenn auch mit vielen Mitteln verwischte Spur in den Dichtungen,die mit Hilfe vereinzelter Hinweise in den frühen Notizen und den späten Tagebüchern lesbar wird. Im einzelnen lassen sich identifizieren:
Der blonde und blauäugige Mitschüler Armin Martens, für den Thomas Mann mit vierzehn oder fünfzehn schwärmte, und der als Hans Hansen im
Tonio Kröger
wiederkehrt.
Williram Timpe, jener Schulfreund mit den hochsitzenden Backenknochen, der Thomas Mann einst, es muß zwischen 1890 und 1892 gewesen sein, auf dem Schulhof des Lübecker Katharineums den berühmten Bleistift lieh, und sich im
Zauberberg
in Pribislav Hippe verwandelt hat.
Das Urbild der «Magdalena Vermehren», jener ungeschickten Tanzpartnerin aus dem
Tonio Kröger
, war in den Fünfzehn- oder Sechzehnjährigen verliebt, aber er in sie nicht, denn sie erwiderte nur seine Gedanken, aber nicht das heimliche Begehren seines Körpers.
Ein Lübecker Klärchen, das den damals achtzehnjährigen Sitzenbleiber offenbar nicht wiederliebte, jedenfalls nur als guten Freund haben wollte.
Die Engländerin Mary Smith in Florenz, mit der es im Mai 1901 beinahe zu einer Verlobung gekommen sein soll. Aber – «She is so very clever, und ich bin so dumm, immer die zu lieben, die clever sind, obgleich ich doch auf die Dauer nicht mitkann.»[ 2 ]
Paul Ehrenberg, die «zentrale Herzenserfahrung»[ 3 ] der Zeit von 1900 bis 1903. Das Paul-Ehrenberg-Erlebnisinspiriert die Figur des leichtlebigen Geigenvirtuosen Rudi Schwerdtfeger im
Doktor Faustus
, der sterben muß, weil sich ein Künstler in ihn verliebt. «Du darfst nicht lieben» lautet eine der Bedingungen des Pakts mit dem Teufel.[ 4 ] Auch in die Figur des Joseph (in
Joseph und seine Brüder
) dringt Paul ein – wobei Thomas Mann sich in die liebende Frau des Potiphar verzaubert. Den Trick, sich selbst in einer Frauenfigur zu verbergen, benützt er häufig, nicht nur aus Berechnung und nicht nur, um bei einem heterosexuellen Publikum besser akzeptiert zu werden, sondern auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Psychologie der Verliebtheit im gegen- und im gleichgeschlechtlichen Falle recht ähnlich aussieht.
Von Katja Pringsheim, deren Liebes-, Verlobungs- und Ehegeschichte sich seit 1904 anschließt, wird gesondert die Rede sein. Seine Ehe literarisch zu verarbeiten kam aus Diskretionsgründen nicht in Frage, aber seiner Werbung um Katja, und dem «strengen Glück», das sie zum Ergebnis hatte, hat Thomas Mann in dem Roman
Königliche Hoheit
(1909) sogleich literarische Gestalt gegeben. Er kommt dort als Prinz Klaus Heinrich, sie als Multimillionärstochter Imma Spoelmann vor.
Trotz einer in ihrer Art unbezweifelbaren ehelichen Treue lassen die Gefühlsabenteuer nicht nach. Mit dem
Tod in Venedig
(1912) meldet sich die verdrängte Homosexualität mit erstaunlicher Offenheit wieder zurück. Das Thema «AlternderSchriftsteller wird durch die Knabenliebe aus der Bahn geworfen» formuliert Manns Ängste. Hinter ihnen stand nur eine winzige Realität. Wie sein Gustav von Aschenbach hat Thomas Mann 1911 am Lido von Venedig vom Liegestuhl aus einen jungen Polen beobachtet, Władysłaus Moes, das Vorbild für den schönen Hermesknaben Tadzio. Fiebernd durch Venedig gefolgt ist er ihm jedoch sicher nicht, vor dem Liebestod wußte er sich zu hüten.
Für die Jahre danach ist die Quellenlage mager, aber man darf vermuten, daß Manns Blick immer wieder in die Runde schweifte. Die frühesten erhaltenen Tagebücher stammen aus den Jahren 1918–1921. Immer wieder werden dort sehnsüchtige Blicke auf junge Männer notiert, seltener auch auf junge Mädchen. Im Sommer 1919 frischt ein junger Mann namens Oswald Kirsten die Tonio-Kröger-Zeit und die Armin-Martens-Erinnerung auf. Er ist blond, mit engstehenden blauen Augen und schiffermäßig wiegendem Gang, bei ein bißchen krummen Beinen.[ 5 ] Thomas Mann versucht, sich für Hans Castorp, den Helden des Romans
Der Zauberberg
, Anregungen zu holen, doch Oswald paßt nicht so richtig ins System. Wieder schwärmt der Dichter nur aus der Ferne, spricht mit dem Angeschwärmten kein Wort, während er mit Katja häufig zusammen ist und in diesen Jahren das fünfte und sechste Kind bekommt.
Den Rang des Ehrenberg-Erlebnisses erreichen noch die Liebesgeschichten mit Klaus Heuser(1927) und mit Franz Westermeier (1950). Auf tiefe Tage in Kampen auf Sylt im August 1927 folgten sogar gegenseitige Besuche in Düsseldorf und München. Mit dem
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