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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Autoren: Hermann Kurzke
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Kaffeehausatmosphäre, beim anderen (wie bei ThomasMann) Nüchternheit, frische Luft und Einsamkeit. Und dann helfen natürlich Routine und handwerkliches Können. Ein gut trainierter Schriftsteller kann aus einem winzigen Einfall einen Roman herausmelken. Aber es bleibt dabei, daß es ohne den Einfall nicht geht.
    Der Zustand, in dem die Einfälle kommen, wird von Thomas Mann beschrieben als «ein Zustand körperlich-seelischen Wohlseins, des Hörens und Schauens».[ 10 ] Irgend etwas meldet sich dann aus dem inneren Vorrat, lustbetont und hoffnungsvoll, und macht den Hörenden und Schauenden glauben, es könne, wenn er gut damit umgehe, etwas Merkwürdiges daraus werden. Die Inspiration ist der empfangend-passive, unbeeinflußbare Teil des Geschehens, das handwerkliche Können der aktive.
    Wenn nun die Inspiration nicht kommt? Eine Katastrophe für den Künstler! Wenn er etwas kann, vermag er den Mangel an Seele eine ganze Weile zu verbergen. Er erzeugt dann Artefakte – Werke, die kunstfertig gemacht sind und perfekt aussehen, aus denen jedoch das Leben gewichen ist. Richard Wagner gilt als großes Beispiel für einen solchen Sachverhalt, jedenfalls wenn man ihn mit den Augen Nietzsches sieht: «Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt.»[ 11 ]
    Thomas Manns innerer Vorrat reichte ein Leben lang, aber er hatte immer Angst, die Inspiration könnte versiegen. Eine Literaturkritik, die ihn als kalten Macher und glattzüngigen Könner diffamierte, schürte diese Angst. Bereits 1904 findet sich im 7. Notizbuch der Plan, einen Faustroman zu schreiben, indem der Teufel als Gegenleistung für die unsterbliche Seele nicht Lust, Geld und Wohlleben verspricht, sondern künstlerische Inspiration.[ 12 ] Das Unerzwingbare, das einst von Gottes freier Gnade empfangen wurde im Zustand körperlich-seelischen Wohlseins, gibt es dort nur noch in Gestalt der von der Vergiftung des Körpers erzeugten künstlichen Paradiese, im Zustand rauschhafter Enthemmung und seelischer Erkrankung. Von 1943 bis 1947 führt Thomas Mann diesen lange gehegten Plan aus. Im 25. Kapitel läßt er den Teufel sprechen:
    Eine wahrhaft beglückende, entrückende, zweifellose und gläubige Inspiration, eine Inspiration, bei der es keine Wahl, kein Bessern und Basteln gibt, bei der alles als seliges Diktat empfangen wird, der Schritt stockt und stürzt, sublime Schauer den Heimgesuchten vom Scheitel zu den Fußspitzen überrieseln, ein Tränenstrom des Glücks ihm aus den Augen bricht, – die ist nicht mit Gott, der dem Verstande zuviel zu tun übrigläßt, die ist nur mit dem Teufel, dem wahren Herrn des Enthusiasmus möglich.[ 13 ]
    Der Roman
Doktor Faustus
ist zwar in einem ganz besonders hohen Maß ein Artefakt, sofern er mit einer Montagetechnik gearbeitet ist, die noch die wärmsten Effekte aus irgendeiner Quelle übernommen hat, aber in der Art der Montagen und in der imposanten Geschlossenheit des fertigen Gebildes steckt ohne Zweifel auch das Gottesgeschenk der Inspiration. Neurophysiologisch könnte die Inspiration wahrscheinlich auch als zufällige Verschaltung sonst nicht verschalteter Nervenbahnen erklärt werden. Aus den dabei entstehenden Kontaktblitzen würde ThomasMann dann ausgewählt haben, was in den gerade aktuellen Werkplan paßte. Aber auch dann bleibt erklärungsbedürftig, wie das Raster entstehen konnte, das die Einfallsblitze filtert und ordnet.
    Wenn Thomas Mann an etwas schrieb, ging er mit einem Treibnetz durch die Welt, in dem alles hängen blieb, was er brauchen konnte. Dieses Treibnetz verließ ihn nie. Er fürchtete zwar, sein innerer Vorrat könnte sich erschöpfen, aber er füllte sich mühelos von selbst immer wieder auf. Das Netz selbst ist das Geheimnis, nicht sein Inhalt. Das Leben, wenn es ausgedrückt ist, ist tot – das glaubte Thomas Mann, von Nietzsche inspiriert, spätestens seit seinem
Tonio Kröger
. Irgendwann würde doch alles durchschaut, alles erledigt, alles getötet sein?! Aber es gelang ihm nicht, mit dem Leben fertig zu werden – erst zu seinem Zorn, später zu seiner Freude und zu seinem Glück. Es wuchs immer nach. Das Treibnetz füllte sich immer wieder neu.
    Deshalb brauchte Thomas Mann den Teufel gar nicht. Er brauchte keine Rauschmittel, keine Syphilis, kein Kokain und keinen Alkohol. Bis zuletzt verstand er sich nicht. Sein geheimer Quell sprudelte deshalb immer weiter. Er mußte immer weiterschreiben, auf der Suche nach dem Geheimnis,
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