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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Autoren: Hermann Kurzke
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damals siebzehnjährigen Klaus Heuser soll es sogar zu einem Kuß gekommen sein – was dieser im Alter jedoch bestreitet. Die literarische Verarbeitung erfolgt im Amphitryon-Essay,[ 6 ] in dem Thomas Mann als Jupiter auftritt, der leider von den Menschen (von Alkmene, deren Rolle Klaus Heuser zu übernehmen hat) nur verehrt, nicht aber geliebt wird. K. H. gehört zur «Galerie»,[ 7 ] also zur Reihe der fünf «großen» Erlebnisse, die von Armin Martens (im Tagebuch «A. M.») und Willri Timpe («W. T.») über Paul Ehrenberg («P. E.») zu ihm reicht und 1950 noch Franz Westermeier aufnehmen wird.
Oft sind es Urlaubserlebnisse. Das Tagebuch vermerkt vom 20. bis 25. Juni 1945 am Lake Mohonk ein Mädchen, die sechzehnjährige Cynthia, eine Zauberberg-Lese rin, mit der der Siebzigjährige gern spricht und deren Charme er sich gefallen läßt. Er spielt mit ihr Goethe und Ulrike (von Levetzow).
Die Tiefe und Tragik seiner Verfallenheiten zeigt erst wieder Franz Westermeier, genannt Franzl, ein Kellner im Züricher Hotel Dolder, dem Thomas Mann beim Servieren zuschaut, dessen Gesicht er mag, dessen Stimme er gern hört und mit dem er belanglose, ihn dennoch tief ergreifende Worte wechselt. Es ist die einzige große Liebesgeschichte, die in eine Zeit fällt, aus der das Tagebucherhalten ist. Es dokumentiert erschütterndes Liebesleid über Wochen und Monate. Literarische Verarbeitung findet das Erlebnis hauptsächlich in einem Essay über die Erotik Michelangelos.[ 8 ]
    Die Tragik dieser Liebesgeschichten beruht in ihrer Unerfüllbarkeit. Was hätte der große alte Mann mit Franzl anfangen können? Er hatte das Unglück, sich meistens in Menschen zu verlieben, mit denen er kein einziges vernünftiges Wort sprechen konnte. Es gab einfach keinen Ort für diese Art von Liebe. Bei aller Sehnsucht danach schauderte er auch vor sexueller Praxis und den mit ihr verbundenen Heimlichkeiten zurück. Das hätte in jedem Falle peinlich werden müssen – zumal Gegenliebe bei den verehrten Knaben nicht vorhanden war. Außerdem gab es uralte Traumata, die ihn daran hinderten, Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Das «Du darfst nicht lieben» aus seinem Faust-Roman galt auch für ihn selbst fast unbedingt – jedenfalls für die homoerotische Seite seiner Liebesbegabung, die er niemals anders als literarisch ausleben konnte.
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Ehepflichten
    Thomas Mann hatte sich entschlossen, zu heiraten, als das Paul-Ehrenberg-Erlebnis abgeklungen war, und setzte diesen Entschluß zielbewußt in die Tat um. Sein Auge fiel auf Katja Pringsheim, damals die begehrteste Partie von ganz München, klug, reich und schön. Er belagerte sie nach allen Regelnder Kunst. Sie ergab sich schließlich seiner Werbung und heiratete ihn im Februar 1905. Es war eine Vernunftehe. In einem Essay sagt er es unumwunden: [ 9 ]
    Hegel hat gesagt, der sittlichste Weg zur Ehe sei der, bei dem zuerst der Entschluß zur Verehelichung stehe und dieser dann schließlich die Neigung zur Folge habe, so daß bei der Verheiratung beides vereinigt sei. Ich habe das mit Vergnügen gelesen, denn es war mein Fall […]
    Die Leidenschaft stand jedenfalls nicht an erster Stelle. Eher führte beide das Bedürfnis nach einer Art von Keuschheit zusammen. In ihrer spröden und humorvollen Diskretion hatten sie Achtung voreinander, die nicht verfehlen konnte, mit der Zeit doch zu einer Art von Liebe zu werden. Die Rolle der Hausfrau und Mutter, später auch die der Managerin eines weltberühmten Großschriftstellers, nahm Katja klaglos an, nicht ohne zu wissen, daß sie auch ein anderes Leben hätte haben können.[ 10 ] Sie hat sich bewußt in seinen Dienst gestellt – immerhin eine große und bedeutende Aufgabe, nicht nur ein Verzicht auf Selbstverwirklichung.
    Die ersten Jahre waren sehr anstrengend. Die Grundenttäuschungen der jungen Ehe waren zu verwinden, drei Kinder folgten rasch aufeinander, ein Haus wurde gebaut, der Krieg kam. Im Alter wird die Stimmung gelassener. Die schwere Erfahrung des Exils schweißte zusammen. Die Familie mußte ein unzerreißliches Band sein, auch für die Kinder, die im Glück oder (häufiger) im Unglück immer wieder zu den Eltern kamen. Die Pflichten als Vater und als Mutter zu erfüllen war eine gemeinsame Aufgabe, diedarüber hinwegtröstete, daß die Harmonie im Tiefsten nicht hundertprozentig war. Doch hielt die Ehe auf diese Weise fünfzig Jahre, und noch lange über den Tod ihres Mannes hinaus hütete Katja treu sein Vermächtnis.
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