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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
Autoren: Hermann Kurzke
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ihm mit irgend etwas wirklicher Ernst sei. Thomas Mann selbst hat sich für seine Romane immer mit rasch angeflogenem Wissen versorgt (auch volks wirt schaftlichem für
Königliche Hoheit
), hat aber weder Mathematik studiert (wie Katja Pringsheim) noch sich jemals irgend etwas anderes systematisch angeeignet. Wenn er sich später immer wieder in die Politik einmischte, dann nie ganz ohne das schlechte Gewissen unzureichender Fachkenntnisse. Die Vision vom «strengen Glück», die den Schlußpunkt des Romans bildet, hatte biographisch eine andere Gestalt als im Roman. Sie bedeutete, die Bohemefreiheit des Künstlers aufzugeben und sich dem Leben zu stellen, Kinder zu bekommen und sich einen geachteten Platz in der Mitte der Gesellschaft zu verschaffen.
23
Lebensausbeutung
    Er schonte seine Ehefrau, wenn auch erst nach der Brautzeit und nur knapp. Gnadenlos hatte er in
Buddenbrooks
seine Herkunftssphäre porträtiert. Kaum hatte er mit Katjas Familie ein schwerreiches jüdisches Milieu kennengelernt, porträtierte er sogleich (1905 in seiner Erzählung
Wälsungenblut
) ein schwerreiches jüdisches Milieu. Frisch verheiratet ließ er, schreibend zwei Monate nach der Hochzeit, einen Schiller, der ihm ähnelte, über seine schlafendeFrau, die Katja ähnelte, sinnieren und beteuern: «Bei Gott, bei Gott, ich liebe dich sehr! Ich kann mein Gefühl nur zuweilen nicht finden […].»[ 14 ] Die Briefe an seine Braut lieh er sich noch einmal aus und schrieb sie ab, um authentisches Material für
Königliche Hoheit
zu gewinnen. Nicht niedrige Gesinnung trieb ihn, sondern radikales Künstlertum. Um der Kunst willen glaubte er so handeln zu müssen. Er war ein Ästhetizist reinsten Wassers. Er schonte sich nicht, aber auch andere nicht. Er beutete sich aus, aber auch andere. Er mochte in der Theorie recht haben mit der Behauptung, die Realie in einem Kunstwerk sei keine Realie mehr, sondern eine Note in einer Komposition. «Wenn ich aus einer Sache einen Satz gemacht habe – was hat die Sache noch mit dem Satz zu tun?»[ 15 ] Aber die Welt sah es anders; üble Nachrede entstand, und die Geschädigten wehrten sich nicht völlig ohne Grund. Alfred Pringsheim verhinderte die Publikation von
Wälsungenblut
– bei aller Liberalität und Kunstverständigkeit wußte er, was die Novelle hätte anrichten können.[ 16 ] Auch seinem Schwiegersohn hätte sie geschadet.
    Thomas Mann war gierig nach Stoffen, und was er erlebte, preßte er aus. Katja wird ihn gewarnt haben – er hätte sonst gewiß auch noch einen Eheroman geschrieben. Die große Wende kommt 1914. Die Geschichte versorgt einen Schriftsteller, der sein Privatleben bereits restlos verbraucht hatte, nun mit einem großen neuen Thema. Eine Verantwortung für Deutschland wächst ihm zu, die er bisher so nicht kannte.
24
Schreibtechnik
    Die Grundmatrix kam aus den Schächten seiner Seele und organisierte das, was er in der Welt sah, wie von selbst zu Geschichten. Er war ein vorzüglicher Beobachter und hatte für alles, was er noch zu brauchen gedachte, ein eisernes Gedächtnis. Weil diese Ausgangsbedingungen immer präsent waren, konnte er, ohne lange auf besondere Inspirationen zu warten, jeden Tag an der Stelle weiterschreiben, an der er am Vortag aufgehört hatte. Durchschnittlich produzierte er ungefähr eine druckfertige Seite am Tag. Er war sehr diszipliniert, besonders seit er verheiratet war. Wenn es ums Arbeiten ging, durften Lust oder Unlust keine Rolle spielen. Insofern war er auch ethisch ein Bürger. Er konnte fast immer schreiben, doch mußte er Ruhe und ein Dach über dem Kopf haben. Selten schrieb er auch im Strandkorb. Zuschauer konnte er nicht vertragen. Er mußte allein sein. Die besten Bedingungen boten die Anwesenheit seiner Bücher, die Abgeschlossenheit und der Komfort seines Arbeitszimmers. In der kalifornischen Zeit schrieb er in der Sofaecke mit einem Klemmbrett auf dem Knie. Bei größeren Arbeiten breitete er Notizen, Exzerpte, Materialien und aufgeschlagene Bücher auf dem Schreibtisch aus. Was verwendet war, wurde durchgestrichen, auf andere Weise markiert oder wegge räumt.
    Manns Handschrift zu lesen ist eine Kunst, die langer Übung bedarf. Aber die Mühe lohnt sich. Er schrieb in seiner Art perfekt. Korrekturen wurden sauber durchgeführt. Überkorrigierte Blätter wurden noch einmal ins Reine geschrieben, so daß eine besondersordentliche Seite meistens nicht aussagt, es sei ihm besonders flüssig von der Hand gegangen. Dialoge fielen ihm
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