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Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser

Titel: Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kurzke
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sondern auch das Chaotische, Schreckliche, Zerstörerische, Gestaltlose, Barbarische. Zum Dionysischen gehört der Vernichtungswunsch. Es verdankt seine Verlockung der Lust, das Geordnete, Nüchterne, Vernünftige, Klare und Ethische, die mühsam aufgebaute zivilisierte Form wieder ins Urchaos zurückzuführen.
    Gustav von Aschenbach ist apollinisch, bevor ihn der Ruf des Todes ereilt. Er legt Wert auf Form und Maß, Haltung und Würde, Regelmäßigkeit und fleißige Zeitausbeutung, Bürgerlichkeit und gesellschaftliche Anerkennung. Im Lauf der Erzählung überwältigt ihn das Dionysische. Er verliert seine Contenance, die Gesellschaft wird ihm gleichgültig, er ist verzückt, betört, berauscht, heißt das Leben gut einschließlich Chaos und Cholera, fühlt sich im Tode schließlich vereint mit dem Ur-Einen, wohin Tadzios «ins Verheißungsvoll-Unge heure» weisende Gebärde ihn führt.
29
Ehrgeiz
    Auch Thomas Mann will in die Lesebücher. Der Sinn stand ihm nach Größe. «Bisweilen kehrt sich mir vor Ehrgeiz der Magen um», schreibt er in einem Brief bereits 1901.[ 5 ] Das Thema kehrt mehrfach wieder, bis der Ehrsüchtige in der Schiller-Erzäh lung
Schwere Stunde
von 1905 eine Psychopathologie derGröße entwickelt, die er nicht an Schiller, sondern an sich selbst studiert hat:
    Gekannt sein, – gekannt und geliebt von den Völkern der Erde! Schwatzet von Ichsucht, die ihr nichts wißt von der Süßigkeit dieses Traumes und Dranges! Ichsüchtig ist alles Außerordentliche, sofern es leidet. Mögt ihr selbst zusehen, spricht es, ihr Sendungslosen, die ihr’s auf Erden so viel leichter habt! Und der Ehrgeiz spricht: Soll das Leiden umsonst gewesen sein? Groß muß es mich machen![ 6 ]
    Was für ein Leiden? Gemeint ist der Lebensverzicht, gemeint ist die Selbstknechtung um des Werkes willen, gemeint sind die Mühen und die Gnadenlosigkeit der Produktion. Dafür forderte er als Ersatz den Ruhm. Für die Mitmenschen war das kein Spaß. Vom Leiden des Künstlers geht ein geradezu erpresserischer Druck aus. Seine Größe soll wichtiger sein als das Leben der Sendungslosen, die es seiner Meinung nach so viel leichter haben.
    Aber Ehrgeiz allein bringt die Größe nicht. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt Thomas Mann viele große Pläne, aber das meiste gelingt ihm nicht. Die unverwirklichten Pläne hat er seinem Gustav von Aschenbach als dessen Werke überlassen: einen Roman über Friedrich von Preußen, einen Gesellschaftsroman mit dem Titel
Maja
, die Erzählung
Ein Elender
und die Abhandlung
Geist und Kunst
.[ 7 ]
30
Sanatorien, Grandhotels, Sommerhäuser
    «Hier ist ‹Einfried›, das Sanatorium!» So beginnt die satirische Erzählung
Tristan
, und bekanntermaßenspielt auch
Der Zauberberg
in einer Heilanstalt. Vor dem Weltkrieg waren Sanatoriumsaufenthalte in den besseren Kreisen sehr üblich. Thomas Mann kannte diese Welt nicht nur durch die häufigen und oft monatelangen Kuren seiner Frau, sondern auch aus eigener Erfahrung. Früh hatte es ihm die auf natürliche Methoden spezialisierte Heilanstalt des Dr. Christoph von Hartungen im (damals österreichischen) Riva am Gardasee angetan, die er von 1901 bis 1904 mehrmals aufsuchte. Der Doktor, schreibt er, sei «Homöopath, und wenn seine Pülverchen nichts nützen, so schaden sie doch jedenfalls nichts.»[ 8 ] Das Haus bot Luft- und Wasserkuren, Sonnenbäder, Gymnastik und gesunde Ernährung an (die unter anderem aus «Kuh- wie Ziegenmilch» bestand).[ 9 ] Auch in der Züricher Privatklinik von Dr. Bircher-Benner war Natur angesagt – Thomas Mann schickt von dort aus spöttische Grüße «von einem Gras essenden Nebukadnezar, der im Luftbade auf allen Vieren geht».[ 10 ] Er war anfällig für Naturheilmethoden. Er war zwar im großen Ganzen sein Leben lang gesund, aber das schien ihm nicht so. Die Neurasthenie (Nervenschwäche) war die Modekrankheit des Fin de siècle, auf die auch er die Symptome bezog, die durch Ehrgeiz, Überbürdung und tägliche Anspannung auftraten.
    Mit dem Reichtum eröffnete sich die Welt der Grandhotels. Die Hochzeitsreise führte ins Züricher «Baur au Lac», wo das junge Paar einige Tage «auf größtem Fuß» lebte, «mit ‹Lunch› und ‹Diner› und abends Smoking und Livree-Kellnern, die vor einem her laufen und die Thüren oeffnen …»[ 11 ] Im ZüricherGrand Hotel Dolder wird sich 1950 die Liebesepisode mit dem Kellner Franz Westermeier abspielen.[ 12 ] 1907 zeigt der Dichter sich beeindruckt vom

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