Thomas Mann - Ein Portraet fuer seine Leser
«Frankfurter Hof» in Frankfurt am Main: «Da weiß man doch, wofür man zahlt und thut’s mit einer Art Freudigkeit» – anders als im Grand Hôtel Lido in Venedig, das sich als «Schwindel» und «anspruchsvolle Spelunke» erwiesen hatte.[ 13 ] Das Grand Hôtel des Bains auf dem Lido hingegen, wo er dann 1911 logierte, hatte ein anderes Format. Die Erzählung
Der Tod in Venedig
gibt viele Eindrücke aus dieser damals international vornehmsten Sphäre wieder. «Ein Manager, ein kleiner, leiser, schmeichelnd höflicher Mann mit schwarzem Schnurrbart und in französisch geschnittenem Gehrock, begleitete ihn im Lift zum zweiten Stockwerk hinauf und wies ihm sein Zimmer an, einen angenehmen, in Kirschholz möblierten Raum, den man mit stark duftenden Blumen geschmückt hatte und dessen hohe Fenster die Aussicht aufs offene Meer gewährten.»[ 14 ]
Das erste eigene Haus ist ein Sommerhaus in Bad Tölz. Im Sommer 1908 wird das Grundstück gekauft, und ein Jahr später ist das Haus bezugsfertig. Das «Landhaus Thomas Mann» war eine Villa mit zehn Zimmern: im geräumigen Parterre Eßzimmer, Wohnzimmer und Arbeitszimmer, im ersten Stock Elternschlafzimmer, zwei Kinderzimmer und ein Zimmerchen für das Kinderfräulein, im Dachgeschoß zwei Gästezimmer und ein Zimmer für die beiden Dienstmädchen. Es war beliebt, wurde aber zu teuer, als Manns 1914 auch noch ein großes Stadthaus in München bauten, und wurde 1917 verkauft. Obwohl derKrieg und die Inflation von 1923 große Einbußen brachten, erlaubten es die in den zwanziger Jahren sprudelnden Einnahmen aus dem literarischen Werk, 1930 ein zweites Mal ein Sommerhaus zu bauen, und zwar in Nidden auf der Kurischen Nehrung. Es ist wesentlich kleiner und bescheidener als das Vorkriegshaus in Bad Tölz, aber es liegt wunderbar auf einer hohen Düne mit Blick auf das Kurische Haff. Drei schöne Sommer lang tat es seine Dienste, bis es durch die Naziherrschaft unerreichbar wurde. Es liegt heute in Litauen, kann besichtigt werden und ist, ebenso wie das Tölzer Haus, in gutem Zustand.
Betrachtungen eines Unpolitischen
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1914
Der schopenhauerisierende Urgrund brauste auf. Die Welt als Wille erhob sich, um das Individuum mit seiner eingebildeten Welt als Vorstellung zu vernichten. Der Krieg zeigt das wahre Sein der Dinge. Thomas Mann ist nicht nur tief erschüttert, sondern fühlt sich auch tief bestätigt. Er läßt sich ohne Zögern auf die neue Lage ein. Zwar ist er froh, daß er von einem verständnisvollen Stabsarzt ausgemustert wird, doch will er wenigstens Gedankendienst leisten. Er schreibt von 1914 bis 1918 einige felddiensttaugliche Essays und die monumentalen
Betrach tun gen eines Unpolitischen
, die sein damaliges Selbst- und Weltverständnis umfassend entfalten.
Der Krieg beendete jedenfalls das süße Leben. Von Grandhotels war erst einmal keine Rede mehr. Der Erlös aus dem Sommerhausverkauf wurde in Kriegsanleihen angelegt, die in der Inflation von 1923 zu nichts zerschmolzen. Thomas Mann war von Anfang an zu großen Opfern bereit. Er spricht sogar in seltsamer Paradoxie von einer «Utopie des Unglücks»,die aufsteige, mit Abgaben bis zu neun Zehnteln, und von Deutschlands tiefster Not. «Wir sind in Not», schreibt er, aber «wir grüßen sie, denn sie ist es, die uns so hoch erhebt».[ 1 ]
Daß ein Geist vom Range Thomas Manns 1914 der allgemeinen Kriegsbegeisterung erlag, sollte davor bewahren, darüber vorschnell den Stab zu brechen. Es muß dafür Gründe gegeben haben, die damals ausreichend waren, auch wenn sie heute als töricht erscheinen mögen. Der Krieg eignete sich als Ventil für beinahe jede Art von Druck. Er war ein großes Entkommen. In Thomas Manns Fall versprach er ein Entkommen aus der Décadence. «Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheuere Hoffnung.»[ 2 ] Reinigung wovon? Von der übelriechenden, giftig gewordenen Friedenswelt. «Gor und stank sie nicht von den Zersetzungsstoffen der Zivilisation?» Befreiung wovon? Von der zynischen Überklugheit der Vorkriegskultur. «Wimmelte sie nicht von dem Ungeziefer des Geistes wie von Maden?» Hoffnung worauf? Daß die Brüderlichkeit bleiben möge, die «der gewaltige und schwärmerische Zusammenschluß der Nation» im August 1914 gezeitigt hatte.
Die Befreiung aus der Décadence hatte überdies eine ganz persönliche Note. Thomas Mann war überanstrengt und unzufrieden. Nach dem
Tod in Venedig
fühlte er sich ausgeschrieben. Die Werke, die er dann Gustav
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