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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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sinnvollen und überprüfbaren Zusammenhang ergeben.
    Dieser Zusammenhang richtet sich allerdings nicht nach externen Kriterien, sondern nach der Logik dieses Wissens selbst: Historische Daten zum Beispiel, die nicht nach der Logik historischer Wissenschaften und ihres Kontextes miteinander verknüpft, sondern nach politischen oder emotionalen Befindlichkeiten gruppiert werden, ergeben kein Wissen, sondern eine Ideologie; naturwissenschaftliche Daten, die nicht der Logik dieser Wissenschaft, sondern politischen Ängsten oder Sehnsüchten unterworfen werden, werden zum positiven oder negativen Mythos, zu einem Phantasma, das sich auch zu einer kollektiven Hysterie steigern kann. Der mediale Umgang mit BSE und Vogelgrippe könnte als Indiz dafür gewertet werden, daß wir von einer Wissensgesellschaft noch ungefähr soweit entfernt sind wie das Mittelalter.
    Der Begriff der Wissensgesellschaft soll allerdings einen gravierenden gesellschaftlichen Transformationsprozeß indizieren: die Verwandlung der klassischen Industriegesellschaft in eine Formation, in der nicht mehr der Abbau von Rohstoffen, die Produktion und der Handel mit Industriegütern signifikant sind, sondern der Erwerb und die Arbeit mit »Wissen«. Die »materielle Ökonomie« soll durch eine »symbolische Ökonomie« abgelöst werden. 13 Das Phänomen des »Wissensarbeiters«, der mit der Gewinnung und Verteilung von Informationen beschäftigt ist, wurde, seit Peter F. Drucker, der Prophet des modernen Managements, in ihm die Verkörperung der »heraufdämmernden« Wissensgesellschaft erkannte, die den klassischen Industriearbeiter ablösen soll, 14 zum Emblem dieser Vorstellung. Drucker definiert den Wissensarbeiter als eine in einem nichthumanistischen Sinn »gebildete Person«, deren Kennzeichen die Fähigkeit ist, »ihr Wissen in der Gegenwart anzuwenden und zur Gestaltung der Zukunft zu nutzen«. 15
    In diesem Konzept saugt der Wissensarbeiter übrigens jene Utopien an, an denen schon der Industriearbeiter gescheitert war: Drucker beschreibt die Wissensgesellschaft explizit nicht nur als postindustrielle, sondern auch als postkapitalistische Gesellschaft. Weil Wissen von jedermann erworben und in den Wettbewerb geworfen werden kann, fallen endlich alle Klassenschranken, jeder ist im Besitz des wichtigsten Produktionsmittels dieser Gesellschaft: Wissen. Wer nun ans Ende der sozialen Stufenleiter gerät, kann sich nicht mehr auf Eigentumsverhältnisse, Gewalt oder Ausbeutung ausreden: Er hat nur schlicht zu wenig oder zu langsam oder das Falsche gelernt. 16
    Von dieser Utopie eines freien und individuellen Zugangs zu den entscheidenden Ressourcen der neuen Gesellschaft blieb nicht viel mehr als die Ideologie des lebenslangen Lernens. Hinter diesem Begriff verbergen sich weniger Konzepte zur Auflösung traditioneller Eigentumsverhältnisse als vielmehr ein Instrument, mit dem jederzeit eine Anpassungsleistung an die real existierenden Eigentumsverhältnisse verlangt werden kann. Bekanntlich ist die Formel vom »lebenslangen Lernen« nicht unumstritten, zu sehr erinnert dies an eine irreversible Verurteilung, als daß die Bildungsplaner damit hätten glücklich werden können.
    Die Not der Benennung indiziert allerdings ein Problem. Welche Bezeichnung man immer wählt, es bleibt ein übler Nachgeschmack. »Erwachsenenbildung« oder »betriebliche Fortbildung« sind außer Mode gekommen, und das eine Zeitlang forcierte umständliche »lebensbegleitende Lernen« konnte sich nicht durchsetzen. Bleibt die übliche Zuflucht zu einem Anglizismus, an dem man keine negativen Konnotationen wahrnimmt: lifelong learning . Welche Euphemismen man auch immer wählt, sie verdecken ein Problem: Ständiges Lernen wird zu einer Notwendigkeit, genauer, zu einem Zwang, aber niemand weiß genau, was eigentlich wozu gelernt werden soll. Und dies vor allem dann, wenn nicht nur jene permanenten Umschulungen gemeint sind, die eine Flexibilisierung der Arbeit einfordert, sondern vom »Faktor Bildung« die wohltönende Rede ist.
    Es gehört zu den Stereotypen der Diskussion über das lebensbegleitende Lernen, daß in der Wissensgesellschaft die Zeiten, in denen eine Phase des Lebens für die Bildung und eine andere Phase für die Erwerbstätigkeit vorgesehen waren, vorbei seien. Nur: so stimmte dies nie. Aristoteles begann seine Metaphysik mit dem berühmt gewordenen Satz: »Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.« 17 Damit war nie gemeint, daß dieses Wissen exklusiv
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