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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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wenigstens der allgemeine Bildungsstand höher ist, erscheint durchaus fraglich. Das Ziel der Wissensgesellschaft ist nicht Weisheit, auch nicht Selbsterkenntnis im Sinne des griechischen Gnóthi seauton , nicht einmal die geistige Durchdringung der Welt, um sie und ihre Gesetze besser zu verstehen. Es gehört zu den Paradoxa der Wissensgesellschaft, daß sie das Ziel jedes Erkennens, die Wahrheit oder zumindest eine verbindliche Einsicht, nicht erreichen darf. In ihr, in dieser Gesellschaft lernt niemand mehr, um etwas zu wissen, sondern um des Lernens selbst willen. Denn alles Wissen, so das Credo ausgerechnet der Wissensgesellschaft, veraltet rasch und verliert seinen Wert.
    Die Bewegung des Wissenserwerbs ersetzt, wie Günther Anders übrigens schon in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts diagnostizierte, das Ziel: Auf »lifelong learning« kommt es an, »nicht auf Wissen oder gar Weisheit«. 10 Wenn es der Wissensgesellschaft aber weder um Weisheit noch um Erkenntnis, noch um Verstehen als zentrale Indikatoren für das, was diese Gesellschaft zusammenhält, geht, worum geht es ihr – neben den Simulationen permanenter Lernbereitschaft – dann?
    Wissen, so eine gängige Definition, ist eine mit Bedeutung versehene Information. Relativ sorglos wird deshalb auch in der politischen Rhetorik der Begriff der Wissensgesellschaft dem der Informationsgesellschaft gleichgesetzt. In der Regel wird letzterer noch stärker betont, weil Informationen noch unmittelbarer mit jenen digitalen Medien verschwistert scheinen, welche die neue Wissensgesellschaft auf Trab halten. Gegen die beliebte These, daß wir in einer Informations- und damit schon Wissensgesellschaft leben, läßt sich allerdings mit guten Gründen die These halten, daß wir in einer »Desinformationsgesellschaft« leben.
    Das Bekannte, formulierte Hegel einmal, ist »darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt «. 11 Informationen haben mit Wissen und Erkenntnis noch nichts zu tun. Unter den zahlreichen Definitionen für Information ist vielleicht die des amerikanischen Systemtheoretikers Gregory Bateson noch immer am erhellendsten: Information ist »irgendein Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied macht« 12 .
    Vor der Folie dieser Begriffsbestimmung wird sofort klar, warum der Terminus Desinformationsgesellschaft zur Beschreibung unserer Gesellschaft wesentlich besser geeignet ist als der Begriff Informationsgesellschaft: Denn die Zunahme der Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, die reine Fülle der als Information getarnten Eindrücke, Töne, Zahlen, Bilder, die auf einen durchschnittlichen Stadtbewohner heute einströmen, tendieren dazu, Unterschiede erst einmal verschwimmen zu lassen, und wenn sie doch sichtbar werden, machen sie keinen Unterschied in Hinblick auf ein späteres Ereignis, weil sie aus Kapazitätsgründen nur peripher wahrgenommen werden können und in der Regel auch sofort wieder vergessen werden müssen.
    Überprüft man die zahllosen sogenannten Informationen, die ein moderner Mensch im Laufe eines Tages – auch unter dem offiziellen Titel »Nachrichten« – konsumiert, daraufhin, inwiefern danach eine Handlung gesetzt wird, die ohne die Nachricht unterblieben wäre, dann wird schlagartig klar, daß die meisten der sogenannten Nachrichten keine Nachrichten sind und daß Nachrichten, die einen Unterschied machen, also tatsächlich etwas mitzuteilen haben, selten sind und aus der Datenflut in der Regel erst mühsam herausgefiltert werden müssen. Was die allabendlichen Fernsehnachrichten betrifft, gibt es übrigens nur einen Block, der tatsächlich eine Information übermittelt, die für die nahe Zukunft eines fast jeden Zusehers einen Unterschied macht und der deshalb tatsächlich eine Bedeutung hat: der Wetterbericht. Alles andere, so ernst es sein mag, ist in der Regel Unterhaltung.
    Wissen ist mehr als Information. Wissen erlaubt es nicht nur, aus einer Fülle von Daten jene herauszufiltern, die Informationswert haben, Wissen ist überhaupt eine Form der Durchdringung der Welt: erkennen, verstehen, begreifen. Im Gegensatz zur Information, deren Bedeutung in einer handlungsrelevanten Perspektive liegt, ist Wissen allerdings nicht eindeutig zweckorientiert. Wissen läßt sich viel, und ob dieses Wissen unnütz ist, entscheidet sich nie im Moment der Herstellung oder Aufnahme dieses Wissens. Im Gegensatz zur Information, die eine Interpretation von Daten in Hinblick auf Handlungsperspektiven
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