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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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in einer bestimmten Phase des Lebens erworben werden könnte. Eher im Gegenteil. Gerade der antike Begriff der Weisheit – sophia – war gedacht als Resultat von erworbenen Kenntnissen, Fähigkeiten, Einsichten und Erfahrungen, die überhaupt erst nach einem langen Leben zu einer wahren Einheit zusammengeführt werden konnten.
    Aber dieser Begriff von Weisheit ist nicht das Ziel des lebenslangen Lernens, weil dieses nämlich gar kein Ziel mehr kennt, sondern das Mittel selbst zum Ziel erklärt. Natürlich: Marktverhältnisse und technologische Innovationen, die der Rationalisierung dienen, ändern sich rasch. An diese Veränderungs- und Entwicklungsschübe müssen die Menschen angepaßt werden. Obgleich auch dies nicht unbedingt etwas Neues ist, sind diese Prozesse durch eine bisher kaum gekannte Dynamik und Intensität gekennzeichnet. Nicht nur, daß viele, vor allem ältere Menschen dadurch objektiv überfordert sein können, dient die Ideologie des lebenslangen Lernens auch, vielleicht vor allem dazu, die Risiken dieser Entwicklung einseitig den einzelnen zuzurechnen. Welche Kurse besucht, wieviel Privatkapital auch immer in Weiterbildung investiert werden, man wird im Ernstfall stets sagen können: Es war zu wenig. Es gibt den durchaus tragikomischen Fall des Lernwilligen, der Qualifikationen über Qualifikationen sammelt und doch nie in die Lage kommt, diese an einem Arbeitsplatz auch wirklich adäquat einzusetzen.
    Eine kritische Analyse des lebenslangen Lernens könnte überdies mit einigen Mythen aufräumen, die stets als ideologische Rechtfertigung einer neuen »Lernkultur« dienen. So stimmt der Hinweis auf die Hinfälligkeit und gleichzeitig rasante Vermehrung unseres Wissens, mit dem die permanente Weiterbildung gerne eingefordert wird, in dieser Ausschließlichkeit schon rein faktisch nicht. Die Fundamente unserer technoiden Wissenskultur sind vielfach älter und konstanter, als es der veränderungswillige Zeitgeist vermutet, und ohne diese Fundamente wird auch die notwendige Weiterbildung auf tönernen Füßen stehen.
    Ein anderer, vor allem in der schulischen Grundausbildung weit verbreiteter Irrtum besteht darin zu glauben, man könne unnötigen Wissensballast abwerfen und sich einfach auf das Lernen des Lernens beschränken, um später dann alles mögliche lernen zu können. Es gibt aber kein Lernen ohne Inhalte. Die Forderung nach dem Lernen des Lernens ähnelt dem Vorschlag, ohne Zutaten zu kochen. Der Begriff des Lernens setzt ein Etwas immer schon voraus. Dieses Etwas aber ist gegenwärtig keiner Idee von Bildung mehr verhaftet, sondern wird als permanente Leerstelle offen gehalten für die rasch wechselnden Anforderungen der Märkte, Moden und Maschinen. Angeregt durch das Memorandum der Europäischen Kommission zum lebenslangen Lernen, das mit der an DDR-Zeiten erinnernden Parole »Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen« überschrieben ist, wird an der Universität Wien in einem hochdotierten Projekt untersucht, wie das lebenslange Lernen (LLL) am besten schon in der Volksschule gelernt werden kann. Das Projekt hört auf das sinnige Kürzel TALK, was »Trainingsprogramm zum Aufbau von LehrerInnen-Kompetenzen zur Förderung von Bildungsmotivation und Lebenslangem Lernen«bedeutet.
    Lebenslanges Lernen ist noch immer zu wenig. Worum es geht, ist: Lehrer lernen, wie man lernt zu lehren, lebenslang zu lernen. Solche Ideologie der reinen, leeren Lernbewegung ist auch Ausdruck einer fundamentalen Unfähigkeit, überhaupt noch angeben zu können, was denn nun eigentlich gelernt werden soll. Kindern, deren mangelnde Lesefähigkeit nach jedem PISA-Test wortreich beklagt wird, wird so nicht etwa das Lesen beigebracht, sondern »Motivation« und »selbstreguliertes Lernen«. An manchen Schulen ist »Motivation« schon zum Unterrichtsgegenstand geworden. Wahrscheinlich lernt man in dieser Stunde, sich für das Nichts zu motivieren. Erschreckend an solchen Konzeptionen ist, daß dieser praktische pädagogische Nihilismus niemanden mehr erschreckt. Letztlich wird das lebenslange Lernen zu einem »naturalisierten Adaptionsvorgang«, zum Zwang, »sich fit for the job zu machen und vor allem auch fit zu erhalten«, ein Zwang, von dem man erst »mit dem Tod« befreit wird. 18
    Eines ist sicher richtig: Es gibt nach den Konzepten der Moderne kein abgeschlossenes Wissen, und überall dort, wo es um Erkenntnis geht, um Tätigkeiten, die eng an den wissenschaftlichen Fortschritt gekoppelt
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