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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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gehört: Es gibt keine Wahl. Im Namen der Freiheit wird die Unmöglichkeit der Freiheit verkündet. Die Phrase, daß die Globalisierung, Menschenwerk wie nur irgendeines, einem Naturereignis gleichkomme, das man vielleicht ausnützen, dem man aber nicht entgehen kann, ist, ernst gemeint, Ausdruck einer Unbildung, die fast schon wieder die klassische Gestalt der Dummheit annimmt.
    Möglich, daß die Priester der Wissensgesellschaft an diesen Unsinn selbst gar nicht glauben, sondern solche Ideologeme zynisch verbreiten, um die Geschäfte ihrer Herren zu stützen. Verblüffend ist dennoch die Demut, mit der solche Propaganda allerorten hingenommen und affirmiert wird. Auch dort, wo jenes intellektuelle Potential vermutet werden kann, das sich wenigstens einen distanzierten Blick auf die Verhältnisse gestatten könnte, triumphieren die Anpassung, der Gestus des Mitmachens, die dumme Angst, man könnte etwas versäumen oder zu spät kommen.
    So, wie in den späten sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die zur Ideologie gewordene Lust an der Kritik dominierte, läßt sich heute geradezu von einer nicht weniger ideologischen Lust an der Affirmation sprechen. Man spürt förmlich die ekstatischen Zuckungen eines einst kritischen Geistes, wenn dieser nun den Markt, die Eliten und den globalen Wettbewerb begeistert feiert. Man kann dies auch verstehen. Nach Jahrzehnten, in denen zumindest die rhetorisch proklamierte Distanz zum Betrieb eine intellektuelle Maxime war, darf man endlich wieder das tun, was lange als der eigentliche Fall des Intellektuellen galt: mitmachen. Das, was Bildung seit jeher von Unbildung schied, die Fähigkeit zu einer reflexiven Distanz, gilt heute schlicht als Kulturpessimismus. Damit ist alles gesagt. Unbildung ist die authentische Ausdrucksform der Wissensgesellschaft, sie nistet mittlerweile in deren Zentren, sie frißt am Geist überhaupt.
    Wie auch immer der große historische Horizont beschaffen sein mag – gerade das demonstrative Beschwören von Sachzwängen und Reformnotwendigkeiten, gerade die Monotonie, mit der die Botschaft verkündet wird, daß es keine Alternativen gebe, gerade die Hast und Geschwindigkeit, mit der die Phrasen der neuen Marktreligion auf die Menschen einprasseln, zeugen davon, daß auch anderes möglich wäre. Der Glaube an die Unausweichlichkeiten unserer Zeit gehört womöglich zu jenen Illusionen, die notwendig sind, damit das Unausweichliche erst wirklich unausweichlich wird.
    Bildung hatte einst mit dem Anspruch zu tun, die vermeintlichen Gewißheiten einer Zeit ihres illusionären Charakters zu überführen. Eine Gesellschaft, die im Namen vermeintlicher Effizienz und geblendet von der Vorstellung, alles der Kontrolle des ökonomischen Blicks unterwerfen zu können, die Freiheit des Denkens beschneidet und sich damit die Möglichkeit nimmt, Illusionen als solche zu erkennen, hat sich der Unbildung verschrieben, wieviel an Wissen sich in ihren Speichern auch angesammelt haben mag.

Über den Autor
    Konrad Paul Liessmann
    Konrad Paul Liessmann, geboren 1953 in Villach, ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien; Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Er erhielt 2004 den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln und 2010 den Donauland-Sachbuchpreis. Im Zsolnay Verlag gibt er die Reihe Philosophicum Lech heraus. Seine Theorie der Unbildung (2006) war ein großer Erfolg und wurde in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien sein Buch Das Universum der Dinge.
    Auszeichnungen
     
2010 Donauland Sachbuchpreis
2007 "Wissenschaftler des Jahres 2006" des Klubs der österreichischen Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten
2003 Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln
1998 Kulturpreis der Stadt Villach
1996 Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik
1989 Wissenschaftspreis der Stadt Wien
    Bibliographie
    Im Paul Zsolnay Verlag sind erschienen
    2000 Philosophie des verbotenen Wissens. Friedrich Nietzsche und die schwarzen Seiten des Denkens
    2004 Spähtrupp im Niemandsland. Kulturphilosophische Diagnosen
    2004 Die Dichter und das Denken. Wechselspiele zwischen Literatur und Philosophie
    2006 Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft
    2010 Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen
    2012 Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft
    1998 Faszination des Bösen. Über die Abgründe des Menschlichen
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