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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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»Kernprozessen« einer Universität in ein Verhältnis gesetzt: Lehre, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung. Als Indikatoren dafür gelten mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung unter anderem: die Anzahl der Prüfungen und der Studienabschlüsse, die Zahl der Studierenden, die ihr Studium in Mindeststudienzeit abschließen, die Einnahmen aus drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten, der Frauenanteil bei Professoren, diverse Auslandsaufenthalte sowie die Studienabschlüsse von Frauen. Wie sich die Bilder gleichen: Das in die Universität eingebrachte feminisierte soziale Kapital bringt eben dieses wieder hervor. Kapital will mehr werden!
    Das Verheerende an solchen Bilanzen, deren kabarettistischer Wert unbestritten ist, besteht darin, daß die teils willkürlichen, teil ökonomistischen, teils ideologischen Parameter, nach denen solche Indikatoren festgesetzt werden, als Kontroll- und Steuerungsinstanz für die Entwicklung der Universität fungieren. Wissen wird zwar nicht bilanziert, sehr wohl aber wird vorgegeben, welche Art von Aktivität unter dem Titel »Wissen« positiv bewertet und deshalb in Zukunft erwartet wird. Die Wissensbilanz bildet die Basis für die Leistungsvereinbarungen, das Budget der Universitäten wird danach bemessen, wie die Sache unter dem Strich aussieht. Da aus verständlichen Gründen niemand in der Wissensbilanz schlecht abschneiden will, werden jene Aktivitäten verstärkt werden, die eine Verbesserung dieser Bilanz und damit eine Erhöhung des Budgets versprechen, auch um den Preis der geistigen Selbststrangulierung. Denn diesen Indikatoren ist eines gemeinsam: mit Wissen, mit Erkenntnis, mit Neugier, mit Ideen, mit forschendem Lernen, mit lehrendem Forschen, mit der Freiheit der Wissenschaft haben sie nichts zu tun. Fraglich, ob die Eingriffe von Landesherren oder Ministerien in eine Universität alten Typs derart gravierend waren wie die in der Sprache des New Managementveranstaltete Entmündigung der Universität im Namen ihrer Autonomie.
    In Summe signalisieren Begriffe wie »Wissensmanagement« und »Wissensbilanz«, aber auch Ideologeme wie »Halbwertszeit des Wissens« und »Wissensballast«, daß das Wissen ausgerechnet in der Wissensgesellschaft aufgehört hat, Gegenstand der Achtung zu sein. Die Geringschätzung des Gelehrten; die Ironie, mit der Wissen, das nur gewußt, aber nicht verwertet werden kann, behandelt wird; die Illusion, Wissen, seine Vermehrung – Einrichten von Exzellenzzentren – und Entsorgung – Schließung von Instituten – nach quantifizierbaren Kriterien zu gestalten und zu evaluieren: all das drückt eine tiefe Mißachtung des Wissens aus. Diese verweist auf eine tiefere Dimension dieses Transformationsprozesses: Wissen hat auch aufgehört, in einem ausgezeichneten Sinn Ausdruck des Erkenntnisstrebens des Menschen zu sein. Aristoteles hatte das Streben nach Wissen noch allen Menschen zugeschrieben. Diese Neugier ist als innerster Impuls des Menschen nicht zweckorientiert, sondern an sich Ausdruck der Conditio humana und Quelle einer ganz spezifischen Lust bewußter Wesen: Sie wollen erkennen um des Erkennens willen. Wer dies vergißt und glaubt, daß nur noch Gehirne oder Manager, Forschungsinstitute oder Exzellenz-Cluster bestimmte Zielvorgaben zu erfüllen hätten, wird sich vielleicht einmal darüber wundern – sofern das dafür nötige Sensorium noch vorhanden ist –, daß bei allem Wissenszuwachs der Wissensgesellschaft das Erkenntnisvermögen derselben allmählich verkümmert. In Abwandlung eines berühmten Nietzsche-Wortes aus Also sprach Zarathustra könnte man sagen: Das Wissen wächst. Weh dem, der Wissen in sich birgt.

9.
Schluß mit der Bildungsreform
    B ILDUNG , dieser Eindruck läßt sich nicht vermeiden, fällt zusammen mit ihrer Reform. Von den Schulreformen der Aufklärung über die Humboldtschen Bildungsreformen, die Reformpädagogik der zwanziger Jahre, die Reform(hoch)schulen, die nach Ausrufung der deutschen Bildungskatastrophe in den sechziger und siebziger Jahren gegründet worden waren, bis zu den wettbewerbsorientierten Universitäts- und Schulreformen der Gegenwart zieht sich der Bogen jener Veränderungen, die Bildung als unablässiges Bemühen um Ausweitung, Strukturveränderung und Anpassung erscheinen lassen.
    Gleichzeitig, und auch dies gehört zu den Paradoxien der Wissensgesellschaft, leidet kein gesellschaftliches Segment so sehr unter dem Stigma, unbeweglich, verkrustet, antiquiert, erstarrt, mit
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