Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

Titel: The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
Autoren: Lee Goldberg
Vom Netzwerk:
die die Touristen sich interessierten, waren die, die sie ständig im Fernsehen oder in Filmklassikern sahen, und die meisten davon waren Kulissen auf den Hinterhöfen der Filmstudios. So gesehen war er ein ausgewiesener Geschichtsexperte.
    Das imposante Wayne Manor. Das Bates Motel. Melrose Place. 77 Sunset Strip. Das Baywatch-Hauptquartier. Jed Clampetts Schloss. Das Haus der Bradys. Gilligans Lagune. Cabot Cove. Diese Orte waren kulturell und emotional bedeutsamer für L. A. und vielleicht auch für den Großteil der nach 1950 Geborenen, als die von Unkraut überwucherten Schlachtfelder von Gettysburg, die Freiheitsglocke oder sogar das Weiße Haus.
    Abgesehen von Drehorten für Film und Fernsehen waren die interessantesten und bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt so kurzlebig und austauschbar wie die zeitgeschichtlichen Dokumente, auf denen sie abgedruckt waren – die schmalen »Reiseführer zu den Häusern der Stars«, die von gelangweilten Latinos verteilt wurden, die auf Strandklappstühlen an Straßenecken und Autobahnausfahrten herumsaßen.
    Jetzt würden sie alle durch neue Sehenswürdigkeiten ersetzt werden müssen.
    Marty passierte Little Tokyo, was er nicht einmal bemerkt hätte, wenn das blaue Schild, das den Stadtteil ankündigte, nicht senkrecht verkantet stehen geblieben wäre. Jetzt fielen ihm die japanischen Geschäfte auf, deren Schilder von bröckelnden Fassaden baumelten oder zerbrochen auf den Straßen lagen. Landwa Lebensmittel. Der Mitsuwa-Markt. Yaohan Plaza. Und selbst durch den Staub hindurch konnte er das unverkennbar salzige, fettige und fischige Aroma von japanischem Essen riechen.
    Vielleicht lag es aber auch nur an Martys Fantasie, die noch beflügelt wurde durch die schmerzerfüllten und fassungslosen asiatischen Gesichter, die nicht zu entziffernde japanische Schrift und das Wissen, dass er sich in ihrem winzigen, dahinwelkenden Winkel einer sterbenden Innenstadt befand.
    Die Schienen beschrieben einen Bogen und verschwanden auf einem Parkplatz an der nordwestlichen Ecke zwischen der 2nd Street und Alameda Street. Hunderte versammelten sich voller Panik auf der unebenen Betonlichtung und starrten die Gebäude an, denen sie entkommen waren, während sie in den Armen ihrer Freunde und Kollegen Trost suchten und das gequälte Geheul all der kollidierten Autos ihr eigenes übertönte.
    Er ging weiter, vorbei an einem Stapel rußiger Steine, rostiger Eisenstangen und korrodierter Metallabdeckungen, alles Überreste eines verlassenen Gebäudes, das sich aufgelöst hatte wie ein Stück Würfelzucker, das von einem Tropfen Wasser getroffen wurde. Ein verwirrter Wachmann, der den Platz vermutlich vor Besetzern schützen sollte, saß auf einem Stuhl in seinem wackeligen Sperrholzverschlag, der kaum größer war als der Mann selbst. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wirkte der Wächter auf Marty nicht gerade, als würde er seinen hohen, schmalen Unterschlupf so schnell wieder verlassen.
    Die Front des Japanisch-Amerikanischen Museums war in sich zusammengefallen, und ein Haufen zerbrochenes Glas glitzerte wie Schnee auf dem weiträumigen Platz an der Ecke Alameda und 1st Street. Marty überquerte die Kreuzung und wandte sich nach Westen.
    Auch ohne Straßenschild wäre ihm spätestens jetzt klargeworden, dass er in Little Tokyo war. Auf der südlichen Straßenseite markierte die Nachbildung eines hölzernen Wachturms den Eingang zu einem Mini-Einkaufszentrum, das einem authentischen japanischen Dorf ähneln sollte – zumindest einem von Winchell’s Donuts gebauten.
    Dem Einkaufszentrum gegenüber, oder besser dem, was davon übrig war, stand eine Reihe historischer Gebäude aus den 1880er-Jahren, nämlich die Häuser der ersten japanischen Siedler – was Marty sicher nicht gewusst hätte, wenn er nicht so sehr darauf geachtet hätte, wohin er seine Füße setzte. Die Namen der früheren Bewohner der Häuser zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg waren mit Messinglettern in den aufgebrochenen, buckligen Gehweg graviert, als Teil eines urbanen Kunstprojekts.
    Marty blieb vor einem der Gebäude stehen und las die Auflistung: 1890, Queen Hotel. 1910, Nihon Hotel. 1914, T. Kato, Hebamme. 1926, Dr. W. Tsukifuji, Zahnarzt. 1935, Ushikawa-Krankenhaus. Jetzt war es eine Videothek.
    Ein paar Schritte weiter war Fugetsu Do, die japanische Bäckerei, wo der Glückskeks erfunden worden war. Marty spähte durch das zerbrochene Fenster. Drinnen war niemand.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher