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Teuflische List

Teuflische List

Titel: Teuflische List
Autoren: Hilary Norman
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anschließend zum Abdecker gekommen war, was das Unglück ihrer eigenen Mutter für Abigail vergleichsweise nicht ganz so schlimm erscheinen ließ.
    »Es gibt viel mehr im Leben als Allen’s Farm.«
    Ihre Mutter hatte das schon mindestens ein Dutzend Mal zu Abigail gesagt. Die Landwirtschaft sei zwar wichtig und notwendig, hatte Francesca Allen erklärt, doch die Arbeit sei oft nahezu unbezahlte Plackerei.
    »Es gibt Wunder auf dieser Welt weit jenseits dieser Hügel, sogar weit weg von Schottland«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Dinge, die du eines Tages selbst sehen, selbst leben kannst, wenn du auf mich hörst.«
    »Aber ich liebe die Farm, Ma«, erwiderte Abigail jedes Mal. »Ich liebe sie mehr als alles andere.«
    »Noch«, erwiderte Francesca. »Aber wenn du älter bist …«
    »… werde ich immer noch die Gleiche sein«, beharrte Abigail.
    Meist lächelte ihre Mutter dann müde und wissend und ließ das Thema erst einmal auf sich beruhen, was aber nichts mit Kapitulation zu tun hatte, denn Francesca besaß einen eisernen Willen. Sie mochte die Träumeihrer Mutter zunichte gemacht haben, als sie ihren Platz am Konservatorium in Glasgow für ihre Liebe zu Douglas Allen aufgegeben hatte, um Bäuerin statt Cellistin zu werden, doch Abigail zeigte mit acht Jahren bereits mehr musikalisches Potenzial (nach Francescas Meinung als Abigails Lehrerin, nicht als Mutter), als sie selbst je besessen hatte; deshalb wollte sie verdammt sein, wenn sie zuließ, dass ein solches Talent ungenutzt blieb.
    Was Dougie betraf, äußerte er sich kaum dazu. So sehr die Liebe seiner Tochter zum Landleben ihn freute – ihn stimmte der Gedanke traurig, dass der Hof irgendwann in fremde Hände überging, sollte seine Frau ihren Willen bekommen. Aber er wusste auch, wie groß ihre Leidenschaft war, wie viel sie für ihn aufgegeben hatte und wie sehr sie an Abigails musikalische Begabung glaubte, und da er ein friedfertiger Mann war, empfand er es als sehr viel leichter, seiner Frau so wenig wie möglich zu widersprechen.
    »Und wenn sie eines Tages keine Lust mehr hat und nicht weiter üben will?«, hatte er einmal gefragt.
    »Das wird nicht geschehen«, hatte Francesca erwidert.
    Und es geschah auch nicht, denn wie Dougie ging auch Abigail einem Streit möglichst aus dem Weg, und sie liebte ihre Mutter. Seit ihrem sechsten Lebensjahr spielt sie Cello (»Violoncello« nannte ihre Mutter es manchmal, wenn sie ernsterer Stimmung war); sie wusste noch, wie Francesca sie zum ersten Mal an das wunderschöne alte Instrument gesetzt und den Dorn verkürzt hatte, damit Abigail den Hals greifen konnte. Sie sollte ein Gefühl für das Instrument bekommen – das glatte Holz, die Saiten. Francesca hatte es genossen, ihrer Tochter dabei zuzusehen, wie sie dem Cello mit den Fingern die ersten Töne entlockt hatte. Dann reichte sie ihr den Bogen.
    »Fass ihn mal an«, forderte Francesca sie auf. »Das ist Pferdehaar. Bögen für Streichinstrumente werden aus dem Schweifhaar von Hengsten gemacht.«
    »Tut ihnen das weh?«, wollte Abigail sofort wissen.
    »Nicht mehr, als es dir wehtut, wenn ich dir die Haare schneide«, antwortete ihre Mutter.
    »Warum sind die Haare von Hengsten?«
    Da ihre Tochter zu diesem Zeitpunkt schon oft beobachtet hatte, wie die Widder die Mutterschafe besprangen, hatte Francesca keine Probleme, Abigail zu erklären, dass die Schweifhaare von Stuten oft mit Urin durchtränkt waren, während dies bei Hengsten nicht der Fall war.
    »Und jetzt«, fuhr Francesca fort, »setz dich richtig hin und versuch, das Cello zwischen den Knien festzuhalten.« Sie hielt kurz inne und schaute ihrer Tochter dabei zu. »Wenn wir mehr Geld hätten«, sagte sie, »könnten wir dir ein kleineres Instrument besorgen, aber …«
    »Nein.« Abigail bemühte sich, eine Körperhaltung zu finden, in der sie den Klangkörper und den Hals des großen Instruments am besten greifen und halten konnte. »Ich mag das hier.«
    Ihre Mutter hatte aus Freude über diesen kleinen Anfang zufrieden gelächelt.
    »Wenn du so weit bist«, sagte sie, »nimm wieder den Bogen – mit der linken Hand, nicht mit der rechten –, und halte ihn genau da«, sie zeigte es ihr, »fast ganz am Ende, gleich unter dem Frosch, wie man ihn nennt …«
    »Frosch?« Abigail riss staunend die grauen Augen auf.
    »Ich habe keine Ahnung, warum er so heißt«, sagte Francesca, »aber es ist so.«
    Sie zeigte Abigail, wie man den Bogen zum Spiel vorbereitete, wie man ihn spannte und
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