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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond
Autoren: Ines Thorn
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unbedingt weg will aus dem Weiler?»
    Pater Fürchtegott nickte, obschon er der gleichen Meinung wie die meisten Kirchenlehrer war. Eine Frau war minderwertig und hatte deshalb dem Mann zu dienen. Basta. So hatte er jedenfalls bisher gedacht. Lag es daran, dass er keine Frauen kannte? Diese pfiffige Karla hier, die war wirklich zu schade für einen Grobian wie den Schmied. Sie hatte Besseres verdient, gewitzt und hübsch, wie sie war, dachte Pater Fürchtegott. Gleichzeitig beschlich ihn die Ahnung, dass seine neue Bekanntschaft ihm das Leben nicht unbedingt leichter machen würde.

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    Viertes Kapitel
    In den nächsten Tagen verschlechterte sich das Wetter zusehends. Herbststürme trieben heran, Nebel hing fest über dunklen Tälern.
    Tagsüber kamen die beiden Wanderer nur schleppend voran, denn kein Fuhrwerk war unterwegs, um sie mitzunehmen, und nachts froren Karla und Pater Fürchtegott in den Viehhütten und Heuschobern. Zum Essen hatten sie nicht mehr als einen halben Laib trockenen Brotes und ein winziges Stück Speck, das an den Rändern schon grünlich schimmerte.
    «Wir müssen versuchen, auf die Handelsstraße zu kommen, die von Köln nach Leipzig führt», erklärte Karla. «Dort können wir in den Dörfern vielleicht um einen Unterschlupf bitten und ein wenig Proviant einkaufen. Dort verkehren auch die Handelsleute. Sie sind in der Welt rumgekommen. Womöglich wissen die sogar etwas über die Lazarusbrüder.»
    Am Abend zuvor hatte Pater Fürchtegott Karla von seiner Aufgabe hier in Nordhessen berichtet. Von den Nachzehrern und den Lazarusbrüdern. Und von seiner Sorge, sie niemals zu finden, denn in den Marktflecken und Dörfern begegneten ihm die Leute mit Misstrauen.
    «Lazarus?», hatte Karla gefragt. «Wer ist das?»
    «Weißt du das nicht?»
    Karla schüttelte den Kopf. «Ich weiß so vieles nicht. Nur das, was die Grit mir beigebracht hat. Wer ist also Lazarus?»
    «Eigentlich gibt es in der Bibel zwei Personen, die Lazarus heißen. Einen armen Lazarus und einen Lazarus von Bethanien. Ich bin sicher, die geheime Bruderschaft, die sich der Jagd auf die Nachzehrer verschrieben hat, geht auf letzteren zurück. Im Johannesevangelium steht, dass Jesus Lazarus von den Toten aufgeweckt hat. Verstehst du?»
    Karla hatte Pater Fürchtegott mit großen Augen zugehört. «Ein Nachzehrer?», fragte sie nun. «Ist dieser Lazarus der erste Nachzehrer gewesen?»
    Der Pater lachte. «Nein, Jesus hat ihn zurück zu den Lebenden geholt. So, als wäre Lazarus von Bethanien nicht tot gewesen, sondern hätte nur geschlafen. Aber seither ist er der Schutzpatron der Metzger, Totengräber, der Bettler, der Aussätzigen und der Leprosenhäuser.»
    «Hm.» Karla schob eine Strähne unter ihre Kapuze zurück. «Dann ist die Lazarusgeschichte eine von Jesu Wundergeschichten, nicht wahr?»
    «Richtig.»
    «Und die, die sich Lazarusbrüder nennen, haben in irgendeiner Weise mit den Nachzehrern zu tun.»
    «Wahrscheinlich.»
    «Und die Nachzehrer erstehen nicht für immer auf von den Toten, sondern kommen nur zurück auf die Welt, um Lebende in das Totenreich zu holen. Es heißt, sie fressen deren Herz.»
    «Und wieder richtig.»
    «Lasst mich in Zukunft nach den Lazarusbrüdern fragen», hatte Karla angeboten. «Ich stelle mich zu den Mägden an den Brunnen. Dort wird viel erzählt. Ich gebe vor, eine Anstellung zu suchen. Mit mir wird man reden.»
    Pater Fürchtegott hatte Karla verstohlen gemustert. Ihm war unterdessen längst klar geworden, dass ihm das Mädchen helfen konnte. Sie war klug, und Pater Fürchtegott, der noch nie so eng mit einem Weibsbild zusammen gewesen war, erschrak darüber. Weiber und Klugheit. Das war etwas, das er im Kloster so nicht gelernt hatte. Manchmal bekam er sogar ein wenig Angst vor Karla. «Was weißt du eigentlich über die Nachzehrer?», fragte er.
    Karla hob die Schultern. «Nichts. Nur das, was man sich so erzählt.»
    «Und was erzählt man sich so in deinem Weiler?»
    Karla sah zur Seite. «Nur dies und das. Gesehen hat noch nie einer einen. Die Leute reden von denen wie von den Geistern, die in Bäumen hocken, oder von den Gespenstern, welche in den Häusern der Toten umgehen. Ihr wisst schon, Spukgestalten.»
    Nun, als sie an einer halbverfallenen Scheune vorüberkamen, steckte Karla einen Finger in den Mund und hielt ihn in den Wind. «Es bläst heute aus Nordwesten. Das ist die Wetterseite. Seht, Pater, von dort kommen dicke schwarze Wolken. Riecht Ihr die
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