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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond
Autoren: Ines Thorn
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Wildwechsel.» Oder: «Da oben kreist eine Gabelweihe. Wahrscheinlich liegt ein Stück Aas auf dem Acker.» Oder, auf einen Baum zeigend: «Wenn die Lärche im November wirft ihr Blatt, wird der Winter kalt und hart.» Pater Fürchtegott blieb stumm, aber in seinem Kopf arbeitete es. «Woher weißt du all diese Dinge?», fragte er nach einer Weile.
    «Das weiß doch jeder. Ich liebe die Natur. Man muss in ihr lesen wie in einem Buch, weil wir ein Teil von ihr sind.»
    Mittags rasteten sie bei einem Stück Brot und Speck und tranken Wasser aus einem eiskalten Bach. Der Pater saß, mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt, und hatte die Augen geschlossen.
    «Kommt, Pater Fürchtegott, wir müssen uns beeilen, ein Unwetter braut sich zusammen.» Karla stieß ihn an.
    «Ein Unwetter? Die Sonne scheint doch, Mädchen. Wo soll denn hier ein Unwetter sein?»
    Karla verkniff es sich, die Augen zu verdrehen. Sie ergriff Fürchtegotts Hand. «Was habt Ihr im Kloster eigentlich über die Natur gelernt, Pater? Seht Ihr nicht die Vögel, die ganz tief fliegen? Riecht Ihr die Luft nicht?»
    Der Mönch sah sich um, hob die Nase in die Luft. «Nein. Ich habe im Kloster von morgens bis abends in Büchern gelesen und die alten Schriften studiert.»
    «Dann vertraut mir einfach.» Karla hielt seine Hand weiter fest und zog den Mönch in den Wald.
    «Hier muss es irgendwo eine Hütte für die Hirten geben», erklärte sie. «Dort suchen wir Schutz.»
    «Woher weißt du von der Hütte?»
    Karla deutete auf einen stinkenden Haufen zu ihren Füßen. «Seht Ihr das? Kuhscheiße. Das nächste Dorf liegt einen halben Tagesmarsch entfernt. Die Kühe können also nicht im Morgengrauen auf und beim Abendrot abgetrieben werden. Der Weg wäre zu weit. Also muss es eine Hütte für die Hirten geben.»
    Fürchtegott nickte und sah Karla bewundernd an. Dann folgte er ihr in den Wald. Das Mädchen bewegte sich im Unterholz so geschickt wie ein Reh. Dem Pater dagegen schlugen die Zweige ins Gesicht. Einmal verfing sich seine Kutte in einem Dornenstrauch. Ein anderes Mal geriet er mit dem Fuß in einen Fuchsbau und fiel hin.
    «Au!»
    «Was ist los?»
    «Ich bin gestürzt. Mein Knöchel, er tut weh.»
    Karla seufzte leise. Dann nahm sie ihren Schal ab, bandagierte den Fuß. «Wir müssen weiter. Ich kümmere mich in der Hütte um Euern Knöchel.»
    Es kam dem Mönch vor, als sei eine Ewigkeit verstrichen, als sie endlich eine windschiefe Holzbude erreichten, wackliger als die Buden, die zu Jahrmärkten aufgestellt wurden. Vor der Tür hing ein Kettenschloss.
    «Sie ist zu», stellte er enttäuscht fest.
    «Zum Glück», sagte Karla. «Seht Ihr die Spinnweben hier? Die Hütte ist schon lange nicht benutzt worden, also werden wir heute Nacht ganz ungestört sein. Hebt mich hoch!»
    «Was?»
    «Hebt mich hoch. Ich wette, der Schlüssel liegt unter dem losen Dachbrett dort.»
    Der Mönch tat, wie ihm geheißen. Und als Karla tatsächlich mit einem rostigen Schlüssel in der Hand heruntersprang, wunderte er sich einmal mehr über das schlaue Mädchen.
    Später, als sein Knöchel versorgt war und das Unwetter draußen die jungen Bäume bis zur Erde bog, fragte er:
    «Warum bist du von zu Hause weggelaufen? Ich frage noch einmal: Hast du etwas verbrochen? Deine rechte Wange ist ganz rot und geschwollen.»
    Karla fasste mit der Hand an die wehe Stelle, die immer noch brannte. «Ich soll verheiratet werden. Mit dem gröbsten und dümmsten Kerl in der ganzen Gegend. Nur weil er einmal die Schmiede erbt. Aber eher sterbe ich, als mich zu ihm zu legen.»
    Der Pater nickte. «Deshalb also hast du dich mir angeschlossen.»
    Karla nickte. «Ein Mönch ist ein bisschen heilig. Nur die allerschlimmsten Taugenichtse würden sich an einem Pater vergreifen. Oder gar an den Damen, die in seiner Gesellschaft reisen. Eure Gesellschaft ist der beste Schutz, den man sich nur wünschen kann.»
    «Und deine Mutter? Weiß sie, dass du den Schmied verabscheust? Dass er dich schlägt?»
    «Stiefmutter. Sie ist meine Stiefmutter. Sie hat mir gedroht, mich zum Krüppel zu prügeln, wenn ich den Leberecht nicht heirate. Das Land seines Vaters grenzt an das bisschen Acker, welches mein Vater besitzt. Der Leberecht hat keine Brüder, sodass wohl er eines Tages alles erbt.»
    «War es der Leberecht, der dich auf die Wange geschlagen hat?»
    «Ja. Das hat er schon oft getan. Und wenn ich alles täte, was der Leberecht verlangt, so hätte ich keine Tugend mehr. Versteht Ihr jetzt, warum ich
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