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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ihr lautes Gebimmel ertönen ließ. Unwillig drehte er sich um und schalt sich, dass er den Laden zur Feier des Tages früher hätte schließen sollen. Es war zu spät. Der Türeingang wurde von einer massigen Gestalt verfinstert. Die untere Hälfte zumindest. Erna Kölblin war, wie man hier in der Gegend liebevoll sagte, ein ›Mordswib‹, das heißt, in Größe, Breite und Tiefe etwa gleich, was ihr zusammen mit dem zeltartigen Kleid und ihren rollenden Bewegungen das Aussehen einer überdimensionalen Bowlingkugel verlieh.
    Die füllige Dame im ewig besten Alter blieb einen Moment unter der Tür stehen und schnaufte hörbar. Dann ließ sie sich mit einem aus tiefster Seele hervordrängenden Seufzer in den bedenklich aussehenden Ohrensessel fallen, der in der Ecke neben dem Regal mit den Roséweinen stand. Die Federn quietschten verdächtig, doch zu Kaltenbachs Erleichterung hielt der alte Knecht stand.
    Noch einmal seufzte sie ausgiebig, schüttelte dann den Kopf, zog ein winziges, zartblaues Spitzentaschentuch aus den Tiefen ihrer Strickjacke und putzte sich die Nase. Kaltenbach unterdrückte den aufkommenden Ärger, als er seinen Gast erkannte. Stattdessen lächelte er, legte die Jethro-Tull-Platte auf den Stapel zu den übrigen und wartete gespannt, was kommen würde. Er wusste, dass seine Nachbarin aus dem Westend ihm etwas Wichtiges mitteilen würde, sobald sie wieder zu Atem gekommen war. Wie stets in so einem Fall hatte die Frau rote Bäckchen, die ihr das Aussehen eines schüchternen Backfisches verliehen, und das ihr, wie Kaltenbach fand, nicht schlecht stand. Doch etwas schien heute anders zu sein. Frau Kölblin wirkte ziemlich verstört.
    »Horch, hesch es mitkriegt … « Wieder nahm sie ihr Taschentuch und tupfte sich die Nase. »Also waisch … «
    Kaltenbach wartete.
    »Nai, also sell isch … «
    Doch auch den dritten Versuch brach sie ab, schnaufte erneut und schüttelte den Kopf. Kaltenbach stand auf und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Er kannte sie lange genug, um zu wissen, dass er ihr Zeit lassen musste. Heute schien es um mehr zu gehen als den üblichen Westendklatsch.
    Vor ein paar Jahren hatte Kaltenbach den ehemaligen Laden in der Fußgängerzone übernommen und zu einer Weinhandlung umfunktioniert. Frau Kölblin war damals eine der ersten gewesen, die gekommen waren, zunächst nur aus Neugier. Doch dann hatte sie den schüchtern wirkenden ›jungen Mann‹, der damals Anfang dreißig war, unter ihre Fittiche genommen. Ihr verdankte Kaltenbach nicht nur eine lückenlose Aufzeichnung der Geschichte des Emmendinger Westends, seiner Häuser und seiner Bewohner, sondern auch, was für ihn wichtiger war, die Vermittlung von Kunden sowie ab und zu ein paar belegte Brote (›Dass ebbis wird üs dir!‹). Inzwischen lief Kaltenbachs Weinkeller ganz ordentlich, doch ihre Fürsorge war ihm erhalten geblieben.
    Frau Kölblin war von Anfang an sicher, dass ein Ladenbesitzer, der täglich mit vielen Menschen zu tun hatte, eine vielversprechende Quelle für Neuigkeiten sei. Es störte sie nicht weiter, dass meist sie selbst es war, die etwas loswerden musste und wollte.
    »Was ist denn los?«, versuchte er sie zu beruhigen. »Ist etwas passiert? Ein Unfall? Moment, ich hole etwas.«
    Kaltenbach verschwand hinter einem Perlenvorhang, der hinter dem kleinen Verkaufsraum ein noch kleineres Hinterzimmer abtrennte. Nach kurzer Zeit kam er mit zwei Tassen Kaffee zurück, von denen er eine auf die umgedrehte Weinkiste stellte. Frau Kölblin nahm den Kaffee dankbar entgegen. Aus der hinteren Ecke schleppte er einen zweiten Sessel heran, setzte sich und versuchte es noch einmal. »Etwas Schlimmes?«
    »Ebbis Schlimms?« Erna Kölblin richtete sich im Sessel auf, sodass sie beinahe ihre stattliche 151 Zentimeter Stehgröße erreichte. Ihre Augen blickten wirr.
    »Ebbis Schlimms? Des hetts noch nie gä!« Sie betonte das ›nie‹ in einer Weise, die keinen Widerspruch erlaubte. »Sitt mirs denkt!«, fügte sie unmissverständlich hinzu.
    Kaltenbach stellte seine Kaffeetasse ab, lehnte sich zurück und machte es sich auf seinem alten Sessel so bequem wie möglich. Er wusste, das könnte dauern. »Erzählen Sie!«, sagte er.
     
    Eine knappe Viertelstunde später verabschiedete sich Frau Kölblin immer noch reichlich atemlos und sichtlich aufgeregt, um noch ›e paar wichtigi Sache‹ zu erledigen. Kaltenbach wusste, was das bedeutete. Schließlich war er nicht der Einzige, bei dem sie ihre
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