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Teufelsengel

Teufelsengel

Titel: Teufelsengel
Autoren: Monika Feth
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geliebt. Nein. Verehrt. Wenn er sie angeschaut hatte, war sie voller Freude gewesen. Ein einziges Lächeln, das ihr gegolten hatte, hatte sie durch den ganzen Tag begleitet.
    Er hatte ihr schon lange kein Lächeln mehr geschenkt.
    Ich bin unvollkommen, dachte sie.
    Ihre Gedanken waren nicht, wie sie sein sollten. Sie waren anders als die Gedanken der andern.
    Ich muss mich ändern.
    Es war Sünde, die meisten Sätze mit Ich zu beginnen. Es  war Sünde, als Mitglied dieser Gemeinschaft nicht glücklich zu sein. Es war Sünde, die liebevolle Fürsorglichkeit des Vaters als einengend zu empfinden.
    Pia hatte ja versucht, sich zu bessern. Hatte nicht mehr so viel Zeit mit ihren Büchern verbracht und sich stattdessen in die Lektüre der Bibel vertieft. Hatte die Freundschaften außerhalb der Gemeinschaft unter fadenscheinigen Vorwänden beendet. War fast nur noch in Begleitung eines Mitbruders oder einer Mitschwester zu den Vorlesungen gegangen.
    Und schließlich hatte sie restlos alles aufgegeben und war hierher gezogen.
    Pia gab sich alle Mühe, nicht zu heulen. Sie versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Wenn sie sich anstrengte, seine Erwartungen zu erfüllen, würde er sie vielleicht nicht zwingen, auch noch ihr Studium abzubrechen, damit sie Demut und Gehorsam lernte.
    Erschrocken bemerkte sie, dass sie alle zu täuschen versuchte. Sie wollte unbedingt etwas behalten, das ihr selbst gehörte und das ihr wichtig war.
    Ihr Studium, das sie letztes Jahr begonnen hatte.
    Sie war nicht demütig und würde es niemals sein.
    Oh Gott, dachte sie und schrubbte verzweifelt weiter.
    Aber Gott schien sie vergessen zu haben.
     
    Kriminalhauptkommissar Bert Melzig hielt den Obduktionsbericht in den Händen. Der Tod Thomas Doraus war durch Ertrinken eingetreten. Würgemale am Hals und Hämatome an Armen und Schultern deuteten darauf hin, dass er ertränkt worden war.
    Bert hatte Mühe, das zu verdauen. Seine Augen hatten  wahrhaftig schon schreckliche Dinge gesehen, und er hatte Mordfälle aufgeklärt, die ihn wohl nie wieder loslassen würden. Doch das hier erschütterte ihn über die Maßen.
    Er stellte sich die Hände vor, die den Kopf des Toten unter Wasser gedrückt hatten. Ihre Erbarmungslosigkeit. Ihre furchtbare Kraft.
    Doktor Christina Henseler, die junge Rechtsmedizinerin, die die Leiche obduziert hatte, ging von mehreren Tätern aus. Das machte diesen Mord noch entsetzlicher. Das Opfer hatte nicht die geringste Chance gehabt, seinen Mördern zu entkommen.
    Bert zog die Schultern zusammen, doch ihm wurde dadurch nicht wärmer.
    Der Tod des jungen Mannes kam einer Hinrichtung gleich.
    Es hatte allerdings ein Kampf stattgefunden. Thomas Dorau hatte sich verzweifelt gewehrt. Unter seinen Fingernägeln waren winzige Hautschuppen gefunden worden und ein einzelnes weißes Haar. Ein kleines Wunder, nachdem die Leiche mehrere Tage im Wasser getrieben hatte.
    Thomas Dorau war in den Abendstunden des 6. November gestorben.
    Bert legte den Obduktionsbericht auf den Schreibtisch, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Jedes einzelne Mordopfer kam ihm gefährlich nah. Der Schock bei ihrem Anblick kroch ihm unter die Haut und machte ihn für eine ganze Weile unberührbar. Eigentlich war er eine Zumutung für seine Umgebung, solange eine Ermittlung dauerte.
    Er stand auf und ging zum Fenster. Er öffnete es weit und schaute hinaus in das Grau, das von winterlichem Weiß durchsetzt war.
    Ohne wirklich einen Blick dafür zu haben.
    Er hatte Lust zu laufen. Seit er in Köln lebte, tat er das täglich. Lief, lief und lief. Weg von allem. Weg von der Erinnerung. Weg von sich selbst.
    Sein Körper hatte sich verändert. Er hatte Fett verloren und Muskeln aufgebaut. Das Laufen war zur Sucht geworden. Wie vor langer Zeit das Rauchen, das er sich mit Hilfe seines Freundes, Tennispartners und Arztes Nathan schließlich erfolgreich abgewöhnt hatte.
    In letzter Zeit überfiel ihn der Drang zu laufen oft mitten in den alltäglichsten Situationen. In Besprechungen. Während einer Befragung. Es war schwierig, ihn zu unterdrücken. Was half, war Konzentration.
    Thomas Dorau, dachte er. Was hast du getan, um so zu sterben?
    Im Nachhinein versuchte er, die Mordopfer zu schützen. Wenn sie schon ihr Leben lassen mussten, so sollten sie doch zumindest ihre Würde bewahren. Er schirmte seine Fälle so lange und so gut es ging vor den Medien ab, achtete peinlich genau darauf, dass über das
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