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Teufel - Thriller

Teufel - Thriller

Titel: Teufel - Thriller
Autoren: Gerd Schilddorfer David Weiss
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ständig vor Hunger brüllenden Kümmerling mitgenommen und ihm ein Leben geschenkt. Sie hatte ihn gegen alle Widerstände vor der Bosheit und dem Aberglauben der Leute beschützt, ihm eine gute Erziehung und Bildung ermöglicht.
    Jauerling erinnerte sich mit Wehmut an seine Ziehmutter. An ihre Nähe, ihre Umarmungen und ihre allabendlichen Geschichten am Herdfeuer. Sie hatte ihm einen Glauben mitgegeben, der viel älter gewesen war als das Geschwätz der Pfaffen von der Kanzel. Sie hatte an die Ahnen, die Gottesmutter Maria und an den Vater im Himmel geglaubt, wie es bei ihr daheim schon Generationen vor ihr getan hatten. Ein einfacher Glaube, fest verwurzelt in Tradition und Alltag.
    Aber wer war Jesus, dieser angebliche Sohn Gottes?
    Ein Mensch wie du und ich.
    Gekreuzigt, gestorben und begraben.
    Daran konnte auch ein Bild auf einem Tuch für Jauerling nichts ändern.
    Die Feder in seiner Hand zitterte, und er wusste, es war nicht die Kälte. Er, der nüchterne Taktierer auf dem politischen Parkett, der Verwalter des Schreckens, die dunkle Seite der Macht, wie ihn Joseph II. einmal genannt hatte, der geniale Krüppel mit dem untrüglichen Instinkt, er hatte einen schweren Fehler gemacht. Er war ein einziges Mal in seinem Leben zu neugierig, zu vermessen gewesen.
    Als er den Auftrag erhalten hatte, dieser unglaublichen Fährte nachzuspüren, einer jahrtausendealten Spur zu folgen, hatte er zum ersten Mal Hoffnung gespürt. Doch nun lag genau diese Hoffnung mumifiziert in einem Kupfersarg in der Kapuzinergruft. Der tote Kaiser hatte sich nicht, wie all die anderen vor ihm, von Legenden und Märchen blenden lassen oder sich Macht von einer verschollenen Reliquie versprochen, sondern die Freiheit von der Knute und dem Joch der römischen Kirche sowie von der Unvernunft. Und Jauerling war voller Idealismus aufgebrochen und hatte nicht bemerkt, dass er auf seiner Spurensuche einen Verfolger hinauf ins Licht gelockt hatte, der besser weiter in der Finsternis geschlafen hätte.
    Es gibt Dinge, die sollte man nicht einmal denken, schoss es ihm durch den Kopf.
    Aus der Gaststube drangen laute Stimmen, und Jauerling horchte auf, lauernd, wie ein wildes Tier, das sein Versteck in Gefahr wusste. Er umklammerte seinen Stock fester und schob langsam den Daumennagel in den feinen Spalt zwischen Knauf und Holz. Seine Gedanken rasten. Hatte er alle Optionen bedacht? In seinem dicken Wintermantel und dem seidenen Schal, mit den ledernen Spangenschuhen und der voluminösen Tasche, die nun neben seinem Dreispitz auf der langen hölzernen Bank der Stube lag, sah er aus wie Hunderte andere Reisende auch, die um diese Jahreszeit nach Turin kamen, in diesem viel zu kalten Frühling.
    Aber er war kein gewöhnlicher Reisender.
    Er war ein Suchender.
    Vielleicht würde die Hauptstadt von Savoyen, die Stadt »am Fuße der Berge«, für ihn zur Endstation werden, so oder so.
    Der meistgefürchtete Mann des Reiches runzelte die Stirn. Er musste mit einem Mal an seinen weit entfernten Heimatort denken, an das kleine Nussdorf im Traisental bei Stift Göttweig, unweit von Krems, von dem aus man die Donau und ihre Nebenarme wie glitzernde Bänder sah, die sich im flachen Tal durch die Auwälder wanden. All das erschien ihm plötzlich, angesichts des nahen Todes, wie ein längst verlorenes Paradies. Vergessen waren die krähenden Jungen, die Pferdeäpfel nach ihm schmissen, und der bigotte Pfarrer, der ihm das Sakrament der Kommunion verwehrte.
    Jauerling schloss die Augen. Er hörte schon das Lied des lustigen Pfeifers, spürte seine knöchernen Finger in seiner Hand. Bald würde er sich ihm anschließen, im ewigen Reigentanz über den Kirchhof.
    Die Schatten kamen näher.
    Nur einen falschen Schritt vom bewährten Pfad abgekommen, einen einzigen Irrtum zugelassen, sagte er sich immer wieder verzweifelt, und schon war alles vorbei.
    »Ich bin mit meinen künstlichen Flügeln höher und höher gestiegen. Aber ich bin durch meinen Stolz und meine Vermessenheit der Sonne zu nahe gekommen. Ihre Hitze hat das Wachs zwischen den Federn meiner Schwingen geschmolzen, und gleich dem Ikarus stürze ich jetzt in die Tiefe… in die pechschwarze Nacht…«, philosophierte er halblaut. Ganz in Gedanken verloren stocherte er mit dem Federkiel im Wachs der Kerze vor ihm auf dem Tisch. »Von ganz oben kann es nur mehr bergab gehen«, murmelte er noch. Dann stützte er erneut den Kopf in die Hand, und seine Augen irrten über die Notizen, die er in den letzten
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