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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Autoren: Stephan Peters
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wiederzugeben, das unseren Leuten nicht mehr aus dem Kopf ging.
    Das heißt: Einmal gelang einem Typ die Flucht. Okay, nach drei Tagen hatte man ihn wieder; aber jemand hatte es zumindest versucht.
    Man brachte ihn zu Vollmer, der sich mit ihm für eine Stunde ins Büro einschloss. Bis heute weiß niemand, was er mit ihm gemacht hat. Fest steht, dass unser Seelsorger überfordert war und ein Psychologe noch ein Jahr danach mit ihm zu tun hatte.
    Einige meinen, Vollmer habe ihm gedroht und ihn unter Druck gesetzt. Aber was ich mir vorstelle ist: Vollmer hat sich eine Stunde vor ihn hingesetzt, ihn angestarrt, mit seinem „Warum-hast-du-mich-verlassen“ und „Wehe-wenn“-Blick.
    „Ich wollte zu meiner Frau!“
    „Aber warum hast du mich verlassen?“
    „Ich sage ja, ich wollte zu meiner Frau!“
    „Aber warum hast du mich verlassen?“
    „Ich wollte ...“
    So ging es vielleicht eine Stunde.
    Vielleicht.
    Aber das allein reicht nicht aus. Was steht in seinen Augen, wenn er die Kassette „Wehe, wenn ...“ einlegt?
    Und solange ich das nicht weiß, verteile ich lieber Zucker, Kaffee, Tabak.
    Nun komme ich zu dem Neuen. Er wurde vormittags eingeliefert, hatte einige Unterschlagungen begangen. Sein Blick war nervös und ängstlich, als würde der Galgen auf ihn warten, oder eine Zyankali-Injektion, jene humane Erfindung der Amis, bei der mich schon wundert, dass sie noch keinen Werbespot dafür gemacht haben.
    Er war so unscheinbar, dass es sich nicht lohnt, ihn zu beschreiben. Und ich spürte gleich, dass ihn niemand leiden konnte.
    Neuzugänge bekommen sofort neue Namen. Aus Richard wird Richi und aus Michael Mike. Ein Dicker heißt Dicki oder Rollmops.
    er war aber immer nur er. Seine Mitbrüder redeten ihn, wenn überhaupt, mit dem Familiennamen an, als wären wir nicht im Knast, sondern in der Sparkasse.
    Der gute Onkel musste also wieder ich sein, der sich seiner annahm, ihn herumführte wie einen Erstklässler in einer Angst einflößenden Schule. Nicht nur vom ersten Tag an. Es sollte die folgende Zeit so bleiben.
    Er fiel natürlich nie unangenehm auf, machte seine Arbeit gut und fühlte sich wie ein König, wenn er mal nach der Uhrzeit gefragt wurde. Am Abend erzählte er mir dann, er habe ein gutes Gespräch gehabt.
    Bei ihm hatte ich die heftigsten Gewissensbisse, wenn ich abends um sieben die Zelle abschloss. Dabei stellte ich mir vor, wie er die halbe Nacht auf seinem Stuhl saß und die dunkle Wand anstarrte. Das waren Abende, an denen ich mich noch enger an meine Geliebte klammerte und so viel trank, dass meine Hand am nächsten Morgen beim Umdrehen des Schlüssels zitterte.
    Aber einmal schaffte er es, dass ich vor Staunen den Mund nicht mehr zubekam: Der erste Monat war für ihn abgelaufen, und er konnte, wie alle nach dieser Zeit, Besuch empfangen.
    Dabei muss selbstverständlich immer ein Beamter anwesend sein, was vor allem mir, trotz der vielen Jahre hier, unangenehm und peinlich ist. Ich versuche wegzuhören, von Küssen, Tränen und Liebesgeflüster. Starre in die Ecke wie damals, als mich ein Lehrer bei der Lektüre von Playboys Magazinen ertappte.
    Die Frau, die ihn besuchte, war eine Schönheit. So wenig, wie ich ihn beschreiben kann, so viel könnte ich sie beschreiben. Aber das wäre ihm gegenüber unfair. Sie war nicht nur sehr schön, sondern anscheinend auch noch sehr reich. Wie er mir später sagte, hatte er einiges an Geld beiseite gelegt. Für sie und für sich, um hier im Bau schmieren zu können.
    Viele hier sagen nichts, wenn sie ihre Frau nach einem Monat wiedersehen. Oft weinen sie nur. Bei seiner Reaktion wusste ich, dass sie die einzige Person war, die draußen auf ihn wartete, die an ihn dachte. Wenn sie kam, klammerte er sich an sie und wimmerte an ihrer Brust.
    Was diese Frau dazu bewogen hatte, ihn zu heiraten, ist mir nie richtig klar geworden. Vielleicht das Helfersyndrom (sie wäre dann eine Art Schwester von mir) oder wegen des Geldes.
    Nach ihren Besuchen musste ich ihn natürlich wieder aufmuntern und erzählen, dass er hier nur vier Jahre abzusitzen brauchte. Bei der Zahl Vier hätte er einmal fast seinen Kopf gegen die Mauer gerammt. Da konnte auch ich nicht mehr helfen. Der Doc setzte ihm eine Spritze. Nachts malte er sich bestimmt aus, wie sie fremdging, oder er würde entlassen und niemand holte ihn ab.
    Da fing er an, für sie zu basteln. Kleine Ringe aus Aluminium, Halsketten aus Kork oder Figuren aus Ton.
    Eines Tages hatte er sogar so etwas wie ein
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