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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Autoren: Stephan Peters
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kleines Kunstwerk geschaffen. Einen Ohrring, mit einem kleinen Herz darin, das in der Mitte gebrochen schien. Es wurde an den Seiten von etwas festgehalten, welches wie Stacheldraht aussah. Er wollte ihr den Ohrring zu einem bestimmten Anlass schenken. Ich fragte mich, was das für ein Anlass in diesem Gemäuer sein könnte. Als er es mir später verriet, konnte ich in dieser Nacht trotz Alkohol und der zarten Bemühungen meiner Geliebten überhaupt nicht mehr schlafen.
     
    Seine erste Geburtstagsfeier hier war aus meiner Sicht der totale Reinfall. Aus seiner der vollkommene Erfolg. Derjenige, der heimlich Bier einschmuggelte, war natürlich wieder ich.
    Ein paar laue Brüder fanden sich tatsächlich ein, um auf seine Kosten einen guten Abend zu haben. Im Besucherzimmer ließ ich mein Radio laufen, dem man mehr Beachtung schenkte als ihm. Er konnte nicht viel vertragen, machte jeden laut auf seinen Geburtstag aufmerksam, wie ein billiger Portier seinen Strip-Laden anpreist.
    „Gratuliere“, nuschelte einer fahrig, ein anderer legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte dabei in eine andere Richtung, um schnell wieder loszukommen. Bei jedem Gratulanten sprang er auf, bedankte sich laut und überschwänglich, lachte sich über alles halbtot, vor allem über das, was er gar nicht richtig hörte.
    Am Ende der Feier saßen die Gratulanten alle an einem Tisch, ohne ihn, und er stand in der Ecke wie Pinocchio, der zuviel getrunken hat. Ich stellte mich zu ihm, damit er nicht mit der Stehlampe reden musste, gab mir Mühe, über seine Scherze lachen zu können, und brachte ihn dann in seine Zelle, schloss ab und hielt mir die Ohren zu. Am nächsten Tag war ich der einzige, der sich für die Feier bedankte.
    Und dann erzählte er es mir. Sagte, er müsse sie sehen, nicht hier im Bau, sondern draußen. Nur für ein paar Stunden. Nur für eine vielleicht. Ich bekam einen echten Schreck. Es ist zwar üblich, nach vier Monaten einen Freigänger, unter Bewachung, raus zu lassen. Aber nicht schon nach ein paar Wochen. Er winselte, er hätte Geld, ob ich beim Chef nicht ein paar gute Worte.
    So ging ich zum Direktor. Nicht wegen des Geldes, das er mir versprach, sondern aus Gründen, die ich lieber später erzählen werde.
    Mit weichen Knien brachte ich unbeholfen seine Bitte vor. Vollmer sagte lange nichts. Das Büro war kahl, an den Wänden Fotos von Häftlingen, als wären es Familienaufnahmen. Ich glaube manchmal, er onaniert davor.
    „Gut“, sagte er schließlich. Gut. Ich glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.
    „Machen wir ein Experiment“, fuhr er fort. „Und Sie sind Leiter des Experiments. Ich vertraue Ihnen, weil Sie mein bester Mann sind. Es ist zwar alles nicht zulässig, aber Sie scheinen ja die Leutchen hier zu lieben“, dabei verzog er die schmalen Lippen, „wenn ich nicht irre. Ich liebe sie auch, wenn auch ganz anders.“
    Dann kam er näher auf mich zu. Wieder dieser starre Blick, die Kühle seines Körpers, und wieder die Gitterstäbe vor seinen Pupillen. Doch diesmal hatte Vollmer nicht seinen „Verlaß-mich-bitte-nicht-Blick“ drauf. Diesmal einen anderen, den ich bislang nur vermutet hatte. Es war der „Wehe-wenn!-Blick“.
    Seine Augen waren wie ein Bildschirm, in dem eine Autostraße zu sehen war. Ich zuckte zusammen.
    Mein Gott, in der letzten Zeit wohl zuviel getrunken.
    In dem Bildschirm war ein verunglückter Wagen zu sehen. Aus der offenen Tür lag ich - blutend. Nur ein paar Jahre älter. Ich versuchte rauszukommen, stand zitternd auf blutigen Füßen und sah einen Motorradfahrer auf mich zurasen. Hielt voll auf mich drauf.
    Ich schrie hysterisch, aber nicht nur wegen des Zusammenstoßes. Es waren die beiden Gesichter, die ich im Motorradhelm sah. Zuerst ein junger Punk – mein Gott, wie schnell das ging! Der Punk wollte aufschreien, aber sein Gesicht löste sich auf, und ein zweites erschien und lachte dreckig. Als mein sterbender Körper durch die Luft geschleudert wurde, wusste ich, wessen Gesicht es war. Das Gesicht von Vollmer.
    „Was haben Sie?“ sagte er zu mir. „Ist Ihnen nicht gut?“
    Irgendwie gelang es mir, aus dem Büro zu kommen.
    „Und denken Sie dran“, hörte ich ihn noch rufen, „Sie sind mir verantwortlich.  Und alles Gute Ihnen.“
    Es war früh am Morgen, als ich ihn in den Park fuhr. Eigentlich darf das nur ein Polizist, doch ich hatte Vollmers Sondererlaubnis. Bezugsperson und so. Ich fror wegen der Kälte, der Angst und seinen Dankesbezeugungen. Und
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