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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Autoren: Stephan Peters
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wegen meiner Vision in Vollmers Büro. Ich musste mit dem Saufen aufhören.
    Überhaupt, mit manchem mehr.
    Er hielt den Ohrring mit dem Herz in der Mitte in seiner zitternden Hand. Fast hätte er ihn zerdrückt.
    Als wir ausstiegen, kam uns eine Gestalt entgegen. Sie.
    Ich hielt mich im Hintergrund, als er wie verrückt auf sie zurannte und sie in seine Arme schloss.
    Während sie zärtlich umschlungen spazieren gingen, rauchte ich hastig eine Zigarette. Eine volle Stunde ließ ich sie allein. Als sie wiederkamen, steckte er ihr den Ohrring an.
    Sie bedankte sich überschwänglich, setzte sich in ihren Wagen und fuhr wieder fort. Ich atmete sehr tief ein. Erwartungsgemäß schnäuzte er sich ins Taschentuch; der Oberkörper zitterte.
    Armes Schwein, dachte ich. Wenigstens hast du ihr noch etwas schenken können, deiner schönen, deiner reichen Frau.
    Aber so konnte es nicht weitergehen. Dieses Versteckspiel. Seine Angst, meine Angst. Ihm musste geholfen werden, damit wir drei zur Ruhe kamen. Und für Hilfe war ich ja immer zuständig.
    So nahm ich meinen Revolver und schoss ihm drei Kugeln in den Kopf. Im Fallen drehte er sich ungläubig nach mir um, öffnete krampfhaft seinen zerschossenen Unterkiefer, murmelte etwas wie: „Warrruum“?
    Aber das viele Blut erstickte alles. In seine Augen konnte ich nicht sehen. Bestimmt nicht.
     
    Zwei Wochen später beförderte mich Vollmer. „Widerstand. Auf der Flucht erschossen“, stand in den Zeitungen.
    Als Vollmer mir seine Hand anerkennend auf die Schulter legte, fühlte ich mich zum ersten Mal bei seiner Berührung wohl. Keinerlei Kälte. Nur beim Rasieren stört mich der verschwommene Ausdruck meiner Pupillen. Dunkle Linien scheinen vor ihnen zu liegen. Sehen fast so aus wie die von…
    Aber ich will nicht weiterdenken.
     
    Überhaupt will ich nicht mehr viel nachdenken, wobei mich meine Geliebte tüchtig unterstützt.
    Gerade küsse ich sie auf den Hals, den Mund, die Ohren.
     
    Nur der Ohrring stört mich etwas, den sie seit dem Morgen im Park nicht mehr rausgenommen hat.
    Der Ohrring, in dem ein billiges Herz eingelötet ist.
    Es scheint in der Mitte zu zerbrechen.
     
    Ende
     
     
    Observierung
     
    „Sag mal Bouillon“, sagte der kleine Bär.
    „Bouillon“, sagte der kleine Tiger.
    Beverley – im Dienstausweis der Polizeimeisterin steht Bettina –, Bev hört sich kosmopolitischer an als eine befohlene Eintragung im amtlichen Papier, flüstert es leise aus hartgeformten Lippen. Darauf ein leichter Film aus Schweiß, der die Angst vergeblich zu kühlen sucht. Sie stellt fest, dass auch Wortfetzen aus Kinderfilmen keinen Herzschlag befrieden, auch keine zitternden Finge, auf den kalten Schoß gelegt, wie ein zu Ende gelesenes Buch, das ihr nicht gehört.
    Beverley sucht nach anderen Wörtern: Das Gegenteil von Klaustrophobie zum Beispiel. Klaustrophobie würde sie jetzt befreien. Sie kann in geschlossenen Abteilen entstehen; Schulter an Busen und Busen an Rucksack.
    In der S-Bahn ist sie, in der S 8 von Düsseldorf nach Wuppertal. Die Bahn ist leer bis auf den Mann neben ihr. So vermisst sie die Menschen, die  das ersehnte klaustrophobische Gefühl in ihr erzeugen könnten ... Die Menschen scheinen der Late-Night-Show im Fernsehen den Vorzug zu geben, denkt sie.
    Die Schienen rumpeln im minimalistischen Ton. Der Ton schenkt Bev in seiner Monotonie eine kurze Vergangenheit, und sie ist dankbar. Die Hände gehören wieder für kurze Zeit ihr und liegen weiß wie gefaltete Laken auf blauen Jeans.
    Die Vergangenheit heißt Kretor – Max Kretor –, von Untergebenen Kretin genannt. Inspektor Kretor sagt: Wir brauchen Beamte in Zivil. Vor allem in der Nachtschicht. Vor über allem in der S8. Kretor ist stolz auf seine Wortschöpfung, freut sich als einziger darüber. Zwei Frauen in der S-Bahn nach Wuppertal, neben denen ihr eigener Kopf liegt, vorsichtig mit dem Fuchsschwanz abgetrennt, als sei der Kopf ein Gepäckstück, sei ziemlich viel in einem Monat. Ja, ja, sagt Kretor. L.A. sei gar nicht mal so weit, und Psychopathen müssen nicht immer in Videotheken eingeschlossen bleiben. Angst mache sich unter Frauen breit, sagt Kretor, was im Allgemeinen gar nicht mal so schlecht ist. Doch in Schlagzeilen sei Angst in Zusammenhang mit seinem Namen, hinter dem auch noch „unfähig“ stehe, äh – eine, äh – Blasphemie. Bev solle Einsatz zeigen und nachher wieder Falschparker aufschreiben. Ja, ja, sie habe so was noch nie gemacht, er habe ihr immer Innendienst
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