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Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus

Titel: Terry - Geschichten aus dem Leichenhaus
Autoren: Stephan Peters
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simpler Straf-Vollzugsbeamter stehe ich zwar tarifmäßig unter ihm, aber in der Knast-Sympathie-Bundesliga rangiere ich ganz oben.
    Was früher für die meisten meiner Jungs am wichtigsten war, also Sex, Suff und gutes Essen, das ist heute Kaffee, Zucker und Tabak. Mein Freund Arnie, den ich schon von der Schule her kenne (damals besorgte er mir die schönen Sachen, die heute jedes Kind am Kiosk bekommt) und der nicht nur deshalb mein Freund wurde, organisiert über seinen Großhandel eben dieses Weiße, Braune und Schwarze, das ich meinen Zöglingen heimlich in die Taschen schiebe.
    Bei uns gibt es keine schweren Jungs, keine Totschläger, Vergewaltiger oder Kinderschänder. Ein paar von ihnen hatten Probleme mit Drogen, andere mit Banken und gefälschten Schecks.
    Sechs Uhr ist Aufstehen, dann ein paar Stunden Plastikteile für Autos zurechtschneiden.
    Dafür gibt’s stolze vier Euro pro Tag, die gespart werden bis zur Entlassung. „Zum Aufbau einer neuen Existenz“, wie es so schön heißt.
    Dieses dicke finanzielle Polster reicht für die meisten dann nur für die ersten Monatsmieten oder drei neue Anzüge, was für die Jungs von der Gesetzgeber-Verteilungsstelle wohl die „neue Existenz“ bedeuten soll. Aber das geht mich gar nichts an. Ich sehe lieber zu, dass die Leutchen hier alle Punkt 19 Uhr auf Hütte, das heißt in ihren Zellen sind: „In Einschluss“.
    Gefangene, die ich schon lange kenne, frage ich, was sie heute Abend noch so vorhaben; werde diesen schlappen Witz aber nicht mehr bringen, in Anbetracht der schönen Tatsache, dass auf mich zu Hause eine alles andere als schlappe Geliebte wartet.
    Wir sind also ein gut eingespieltes Team, und über allem wacht, ja, das ist der richtige Ausdruck, Vollmer, der Strafvollzugsdirektor. Ich glaube, allein seiner Präsenz ist es zu verdanken, dass in den 25 Jahren meiner Dienstzeit kein einziger Gefangener geflohen ist.
    Denn Vollmer wacht über uns.
    Er ist kein mieser Typ wie Donald Sutherland in „Look Up“, der Sly Stallone den Hintern aufreißt, auch kein Sadist wie der Direktor in “Alcatraz“, Patrick McGoham, der seine Gefangenen psychisch vergewaltigt und am Ende feststellen muss, dass ihm nun doch noch Clint Eastwood entkommen ist, welcher ihm eine winzige Blume zum Abschied hinterlassen hat. Nein, das wäre auch nicht möglich in einem Land, in dem man sich als Einsitzender mit vier Euro pro Tag eine neue Existenz aufbauen soll.
     
    Vollmer gelang es nicht nur, jedwede Flucht zu verhindern, sondern auch noch, jeden Gedanken daran gar nicht erst aufkommen zu lassen. Jedenfalls kam mir während meiner vielen Jahre im Bau nicht ein einziges Gespräch oder ein Witz darüber zu Ohren. Und erzählen taten mir die Burschen alles. Man hatte Vertrauen zu mir. Über alles sprachen sie, doch der Wunsch, irgendwie mal herauszukommen, wurde  verdrängt, wie Sex, Suff und gutes Essen.
     
    Ich glaube, es ist einfach Vollmers Präsenz. Wie er so dasteht, wenn ihm ein neuer Gefangener vorgestellt wird. Wie er einmal pro Woche vor uns allen steht, um, wie er es nennt, einen Appell zu machen. Ein kleiner, dürrer Mann mit schütterem Haar. Die Nase zu groß und zu spitz, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, leise, fast unhörbar spricht und seine Augen! Starr, scheint die Lider nie zu schließen, den schmalen Mund fest zusammengepresst.
     
    Einmal ist es mir gelungen, für kurze Zeit seinem Blick standzuhalten. Habe sogar gewagt, ein paar Schritte auf ihn zuzugehen, fast auf Tuchfühlung mit ihm zu kommen, wobei seine Lippen noch schmaler wurden und Kälte von ihm ausging, die nicht physisch war.
    Mich fröstelte am ganzen Körper, nicht nur wegen der Kälte. Es waren seine Augen, in die ich zum ersten Mal lange starrte. Die Pupillen waren nicht ganz zu sehen. Irgendwie lag vor ihnen etwas, das aussah wie Gitterstäbe, hinter denen etwas lauerte.
    Etwas Dunkles.
    Doch wahrscheinlich waren es Gitter, die sich in seinen Augen widerspiegelten, obwohl es in Vollmers Büro keinerlei Fenster gibt.
    Aber es ist schon lange her; vielleicht habe ich etwas durcheinandergebracht.
    Es war aber nicht nur seine Ausstrahlung, die das verhieß, was seine schmalen Lippen nie auszusprechen gewagt hätten. Ich glaube, er vermittelte außer Angst noch etwas anderes bei den Gefangenen: ein völliges Verlassensein. Er strahlte nicht nur „Wehe, wenn ...“, sondern auch „Lasst mich um Gottes willen nicht allein!“ aus. Es gelang ihm, dieses Doppelbild von sich
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