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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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Handwerker-Pick-ups, Anhängergespanne, die unter Gepuffe und Gequietsche ihre gigantischen Frachten an frischen Produkten aus dem Gartenstaat den Küchen von Manhattan entgegenschleppen – drücken sich nach rechts, können jedoch immer nur knapp einen Meter voranzockeln und müssen dann wieder bremsen.
    «Das ist jetzt der Moment zum Abspringen, Mr. Levy. Sobald wir im Tunnel sind, kann ich nicht mehr anhalten.»
    Der Beratungslehrer legt die Hände auf seine Schenkel in der unpassenden grauen Hose, damit Ahmed sieht, dass er nicht beabsichtigt, die Tür anzufassen. «Ich glaube nicht, dass ich aussteige. Wir stecken hier zusammen drin, mein Sohn.» Seine Pose ist tapfer, seine Stimme aber heiser und dünn.
    «Ich bin nicht Ihr Sohn. Wenn Sie versuchen, irgendjemanden auf mich aufmerksam zu machen, lasse ich den Laster gleich hier hochgehen, im Stau. Das ist zwar nicht ideal, reißt aber noch genügend Leute in den Tod.»
    «Ich wette, dass du ihn nicht hochgehen lässt. Dafür bist du ein zu guter Junge. Deine Mutter hat mir mal erzählt, dass du auf kein Insekt treten konntest. Dass du immer versucht hast, es auf ein Blatt Papier zu kriegen und aus dem Fenster zu befördern.»
    «Sie scheinen ja viele Gespräche geführt zu haben, meine Mutter und Sie.»
    «Beratungsgespräche. Wir wollen beide das Beste für dich.»
    «Ich trete nicht gern auf Insekten, aber ich fasse sie auch nicht gern an. Ich hatte Angst, sie würden mich beißen oder ihren Kot auf meiner Hand hinterlassen.»
    Mr. Levy lacht, was Ahmed als kränkend empfindet. «Insekten produzieren sehr wohl Kot», sagt er stur. «Das haben wir in Biologie gelernt. Sie haben einen Verdauungstrakt, einen Anus und alles, genau wie wir.» In seinem Gehirn herrscht Aufruhr, es stößt an seine Grenzen. Weil keine Zeit für Auseinandersetzungen zu bleiben scheint, nimmt er Mr. Levys Anwesenheit neben ihm wie etwas Immaterielles, Halbwirkliches hin – wie das Gefühl, das er immer hatte, Gott sei ihm näher als ein Bruder und er selbst ein halb entfaltetes Doppelwesen, wie ein gebundenes Buch, das zwei Arten von Seiten in sich vereint, die ungeraden und die geraden, die gelesenen und die ungelesenen.
    Überraschenderweise gibt es hier, an den drei Mündern (Manny, Moe und Jack) des Lincoln-Tunnels, Bäume und grüne Pflanzen; über dem gestauten Verkehr mit seinem wirren Gebrodel aufleuchtender und erlöschender Bremsund Blinklichter trägt ein Erddamm ein dreieckiges gemähtes Grasstück. Ahmed denkt: Das ist das letzte Stück Erde, das ich je sehen werde, dieses kleine Rasenstück, auf dem nie jemand steht oder Picknick macht oder das je zuvor jemand mit Augen bemerkt hat, die im Begriff sind, blind zu werden.
    Ein paar Männer und Frauen in blaugrauen Uniformen stehen an den Rändern des verklumpten, vorankriechenden Verkehrs. Diese Polizisten wirken eher wie wohlwollende Betrachter als wie Wächter, plaudern in Zweiergruppen miteinander und wärmen sich im wiedergeborenen, wenn auch noch dunstigen Sonnenschein. Wie sie es sehen, tritt so ein Stau an jedem Werktag um diese Uhrzeit ein, ist so naturgegeben wie Sonnenaufgänge, Ebbe und Flut oder die übrigen sinnlos wiederkehrenden Phänomene auf dem Planeten. Unter den Polizisten ist eine kernige Frau mit blondem, zusammengebundenem Haar, das im Nacken und an den Ohren unter ihrer Mütze hervorkommen darf; ihre Brüste drücken gegen die Taschen ihres Uniformhemds mit dem Polizeiabzeichen und den Schulterriemen; zwei Männer in Uniform hat es zu ihr hingezogen, einen weißen und einen schwarzen, die lüstern lächelnd die Zähne blecken und um die Hüften schwere Waffen tragen. Ahmed blickt auf seine Timex: acht Uhr fünfundfünfzig. Seit fünfundvierzig Minuten sitzt er im Lastwagen. Bis neun Uhr fünfzehn wird es vorüber sein.
    Indem er sich geschickt der Spiegel bedient, um noch das geringste Zögern eines Fahrzeugs neben ihm auszunutzen, hat er den Laster nach rechts hinübermanövriert. Der Stau, der eine Weile undurchdringlich aussah, hat sich zu Kolonnen geordnet, die auf die beiden Tunnel in Richtung Manhattan zustreben. Auf einmal sieht Ahmed, dass ihn nur noch ein halbes Dutzend Lieferwagen und Autos von dem rechten Tunneleingang trennt. Da ist ein U-Haul-Mietlaster von schätzungsweise zwanzig Kubikmetern Ladevolumen, ein Imbisswagen mit Aluminiumhaut, ringsum hochgeklappt und verriegelt bis zu dem Moment, da er seine Theke vorkippen und seine Küche anwerfen wird, um an irgendeinem Bordstein
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