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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater
Autoren: P Bordage
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Straße menschenleer. Jek schlug den Kragen seiner Jacke hoch und trottete zur nächsten U-Bahnstation des TRA.
    Ein paar Minuten später betrat er die Gravitationsplattform,
die ihn zum Bahnsteig brachte. Die automatischen Züge fuhren nachts selten. Die wenigen Passagiere standen müde in der Nähe der schwebenden Sitze. Sie nahmen jedoch nicht Platz, so als hätten sie Angst, vor Erschöpfung einzuschlafen.
    Am anderen Ende des Bahnsteigs entdeckte Jek ein paar Interlisten in ihren schwarzen Overalls. Sollten sie ihn entdecken, würden sie ihn sofort mitnehmen und ihn einer zellularen Analyse unterziehen, ehe sie ihn wieder nach Hause brächten. Fast hätte er sich gewünscht, dass dies geschehe, denn er fühlte sich noch nicht sehr wohl allein und in Freiheit. Doch dann besann er sich: Jek At-Skin, der Abenteurer, bereit, das Universum zu entdecken, sollte so schnell aufgeben? Jek At-Skin, der Junge, der die drei legendären Persönlichkeiten kennenlernen wollte, von denen der alte Artrarak erzählt hatte, wollte seine Eltern nicht verlassen? Ja, er war der Sohn ganz gewöhnlicher Utgenianer und hatte sechs Monate im Bauch seiner Mutter und drei weitere im Familienbrutkasten verbracht – wie vor ihm P’a At-Skin und vor ihm Großp’a At-Skin … Liebe und Abstammung hatten ein unsichtbares Band zwischen ihnen geknüpft …
    Doch darf ich mich deswegen vor dem Unbekannten fürchten?, fragte sich Jek. Ein abenteuerliches Leben mit der tristen Existenz hinter den Mauern einer heiligen Propagandaschule vertauschen?
    Jek entdeckte ein Liebespaar in seiner Nähe, nicht zu jung, nicht zu alt. Mit etwas Glück würde man die beiden für seine Eltern halten.
    Er ging hinter ihnen her, als der weiße, etwa fünfzig Meter lange Zug mit schrillem Kreischen in den U-Bahnhof einfuhr und hielt. Die Schiebetüren glitten mit einem pfeifenden Geräusch auseinander. Das Abteil war nur zu drei
Vierteln voll. Jeks Leiheltern setzten sich, eng aneinandergeschmiegt, auf eine leere Bank. So blieb genug Platz für ihren unbekannten Sohn. Mit dem Austausch von Küssen beschäftigt, schenkten sie ihm keine Beachtung.
    Und während die Stationen an Jek vorbeizogen, beobachtete er die Verliebten aus den Augenwinkeln. Die beiden hatten sich noch nicht zur Kirche des Kreuzes bekehrt, denn sie trugen keine Colancors, und ein Kreuzler hätte es wegen des strengen Moralcodex’ niemals gewagt, der Öffentlichkeit ein derart intimes Schauspiel zu bieten. Jek hoffte, dass dieses schamlose Benehmen nicht die Aufmerksamkeit der gefürchteten Interlisten ein paar Sitze weiter erregen würde. Auch fragte er sich, ob sich seine Eltern in ihrem Schlafzimmer im Keller noch küssten, doch dann fand er, dass dies ein lächerlicher Gedanke sei. Und je weiter ihn die U-Bahn aus dem historischen Zentrum Anjors forttrug, umso blasser wurde die Erinnerung an seine Eltern, eine Feststellung, die ihn verstörte. Plötzlich schien ihm, er habe sie schon vor Jahren verlassen.
    Haltestelle Traph-Anjor. Hier musste er umsteigen und die U-Bahn zum Nord-Terrarium, dem Viertel der Quarantäner, nehmen. Jek mischte sich unter den Strom der Fahrgäste und ihm wurde fast schlecht, als er an den Interlisten vorbeiging. Aber die schwarzen Gestalten rührten sich nicht. Schnell ging er zur Umsteige-Plattform. Er hatte den alten Artrarak schon so oft besucht, dass er den Weg auch mit geschlossenen Augen hätte finden können. Es gab für ihn keinen Rückweg mehr, und er fragte sich, ob ihn der alte Mann auch zu nächtlicher Stunde empfangen würde.
     
    Das Terrarium – die unterirdischen Stadtviertel, in denen die Überläufer der verseuchten Zone hausten – erstreckte
sich über Hunderte von Hektar im Norden Anjors. Es war eine Stadt in der Stadt mit eigener Verwaltung, eigenem Handel und eigener Polizei. Ein Ghetto, das die »Oberirdischen«, die auf der Erde lebenden Anjorianer, nie aufsuchten.
    Ehe Jek diesen Ort zum ersten Mal betrat, hatte er alle möglichen Geschichten über die Quarantäner gehört: P’a At-Skin zum Beispiel behauptete, die radioaktiven Stürme hätten bei ihnen seltsame Krankheiten und schreckliche Deformationen hervorgerufen. Er war der Meinung, dass man sie nie hätte in die geschützte Zone lassen dürfen, und dass sie sich dort wie Karnickel vermehrten und deshalb bald zahlreicher als die gesunden Utgenianer sein würden. Weiter pflegte P’a At-Skin dann über die Regierung vor tausendfünfhundert Jahren zu schimpfen; es sei
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