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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater
Autoren: P Bordage
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können. Er ballte die Fäuste und steckte sie in die Taschen seiner Pluderhose. Dann lief er schnell über den Platz.
    Außer Atem und schweißgebadet kam er schließlich zwei Stunden später zu Hause an. Zwei fahle Gestirne hatten Hares vom Himmel verdrängt. Sein Elternhaus im Wohnviertel Oth-Anjor – wörtlich: das alte Anjor – lag halb unter der Erde. Und P’a At-Skin war sehr stolz auf den schmalen Streifen künstlichen Rasens, der das Gebäude umgab und den er den »Garten« nannte. Ein unerhörter Luxus in einer übervölkerten Stadt wie Anjor, wo sich das gesamte Leben
einer Familie in einem einzigen Raum abspielte: kochen, essen, streiten, schlafen.
    Seine Eltern saßen bereits am Tisch, als er den zu ebener Erde gelegenen Raum betrat: Küche, Wohn- und Kinderzimmer zugleich. Also sein Zimmer, da er der einzige Sohn war.
    M’a At-Skin warf ihm einen bösen Blick zu, und P’a At-Skin runzelte die Stirn. Seine Eltern waren streng. Jek hatte nicht viel zu lachen gehabt. Es sei denn, P’a At-Skin war mit glänzenden Augen und schwerer Zunge von seinen halbjährlichen Versammlungen zurückgekehrt. Doch seit beide zum Kreuzianismus konvertiert waren, wirkten sie noch ernster. Jeks Vater war geschrumpft, sein Rücken krumm, so als ob er sich um seinen dicken Bauch zusammenrollen wolle. Und das schöne Gesicht seiner Mutter war hart und faltig geworden. Unter ihrer traditionellen Kleidung, Jacke und Hose für die Männer, und eine lange Tunika samt enger Hose für die Frauen, trugen seine Eltern nun den Colancor. Und die drei Haarsträhnen, die man trotz des Colancors sehen durfte, welche eigentlich dieser Kleidung Anmut verleihen sollten, sahen bei ihnen lächerlich aus.
    Sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, ihrem Sohn die Grundelemente des Kreuzianismus’ zu lehren, doch dabei stießen sie bei ihm auf hartnäckigen Widerstand. Jek weigerte sich kategorisch, den Messen in der Kirche beizuwohnen und dem göttlichen Wort zu lauschen. Schlimmer jedoch war es für ihn, dass seine Eltern nicht zur Konversion gezwungen worden waren, sondern quasi durch eine Erleuchtung spontan zu diesem Glauben gefunden hatten. Jedenfalls behaupteten sie das … Doch Jek hatte das Gefühl, dass sie ihn belogen.
    Als er jetzt wie erstarrt in der Tür stand, hatte er den Eindruck,
zwei lebenden Toten gegenüberzustehen. Allein der aufsteigende Dampf aus den Tellern schien Leben zu verbreiten.
    »Wo warst du, Jek?«, fragte M’a At-Skin mit dieser säuselnden Stimme, die nichts Gutes verhieß.
    »Ich war spazieren, in der Stadt«, antwortete Jek.
    »Immer dieselbe Antwort!«, sagte P’a At-Skin mürrisch.
    »Und immer dieselbe Frage«, entgegnet Jek und seufzte.
    Die Mahlzeit verlief in tödlichem Schweigen. Doch an den flüchtigen Blicken, die seine Eltern wechselten, erkannte der Junge, dass das Thema noch nicht vom Tisch war.
    Schließlich hörte P’a At-Skin mit Kauen auf und wischte sich den Mund ab. »Jek …«
    »Jek …«, sagte auch M’a At-Skin mit dieser besonderen Betonung.
    »Jek, mein Sohn, du wirst immer unverschämter!«
    »Und immer unerträglicher …«
    Jetzt bedauerte Jek, nicht dem Rat des alten Artrarak gefolgt zu sein, denn die Entschlossenheit, die er in den Gesichtern seiner Eltern lesen konnte, erfüllte ihn mit unsäglicher Angst.
    »Jek, mein Sohn, wir haben, was dich angeht, eine Entscheidung getroffen«, fuhr P’a At-Skin fort.
    »Es ist höchste Zeit, deinem rebellischen Kopf etwas Ordnung einzutrichtern«, fügte M’a At-Skin hinzu.
    »Deswegen schicken wir dich morgen früh in die heilige Propagandaschule von Oul-Bahi …«
    »Das ist eine sehr gute Schule, wo du gefördert wirst …«
    Das Blut gefror dem Jungen in den Adern. Fast hätte er die bittere Erbsensuppe – eine kulinarische Tortur seiner Mutter – wieder ausgespuckt. Trotzdem zwang er sich, seinen Teller leer zu essen.
     
    Jek stach sich mit einer Nadel aus dem Nähkorb seiner Mutter in die Wangen. Sein langer Marsch durch die Straßen Anjors hatte ihn erschöpft, und der Schlaf breitete gleich einem Vogel der Nacht seine Schwingen über ihm aus. Seine Glieder wurden schwer. Die gedämpften Stimmen seiner Eltern drangen an sein Ohr. Nur nicht einschlafen!
    Auf die Ankündigung seiner Eltern hatte er emotionslos reagiert, doch sobald er in seinem Klappbett lag, hatte er heiße Tränen geweint. Sie wollten sich also von ihm trennen und ihn nach Oul-Bahi schicken, eine weit entfernte Provinzstadt, und ihn in eine
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