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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater
Autoren: P Bordage
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Propagandaschule einsperren lassen, Tag und Nacht unter der Fuchtel dieser Kreuzler-Missionare. Jek beurteilte seine Eltern mit der Strenge aller Kinder, aber er liebte sie auf seine Weise, denn er erinnerte sich an glücklichere Zeiten, an das laute Lachen seines Vaters und die fröhlichen Augen seiner Mutter. Damals waren sie voller Wärme und Leben gewesen, und sein Elternhaus hatte einer winzigen heiteren Insel in dem ewigen kalten Grau Ut-Gens geglichen.
    Er fuhr aus dem Schlaf hoch, schweißgebadet. Reflexartig stach er in seine Wange und schrie vor Schmerz laut. Dann lauschte er, alle Sinne angespannt.
    Im Haus herrschte Stille, die nur von dem dumpfen Brummen der U-Bahnzüge und dem fernen Summen der Pendelflugzeuge für Handelsgüter unterbrochen wurde. Er stand auf und zog seinen Pyjama aus. Da M’a At-Skin die Angewohnheit hatte, seine Kleidung auf die Küchentheke zu legen, musste er den Raum tastend durchqueren. Es war Herbst, und P’a At-Skin hatte die Atom-Heizkugeln noch nicht installiert. (Auf Ut-Gen gab es nur drei Jahreszeiten: Tiefer Winter, Winter und Herbst.) Trotzdem fror Jek.
    Seit länger als einem Jahr – genau gesagt, seit er Artrarak
kennengelernt hatte – liebäugelte er mit seinem großen Projekt. Artrarak war ein alter Quarantäner aus dem Nord-Terrarium. Doch inzwischen musste Jek sich eingestehen, dass er diesen Plan nie hatte realisieren wollen. Es hatte sich vielmehr um einen Kindertraum gehandelt, eine Pforte zur Utopie, eine Flucht aus dem Alltagsleben, aus der Langeweile.
    Jek stieß an einen Stuhl. Der Lärm war furchtbar. Er glaubte, sein Herz würde zerspringen. Wie erstarrt blieb er stehen und lauschte. Doch er hörte nichts, nicht die leiseste Reaktion.
    Er – ein Kind von acht Jahren – war im Begriff seine Eltern zu verlassen, doch sie schliefen den tiefen Schlaf der Selbstgerechten. Widersprüchliche Gefühle beherrschten ihn. Einerseits wünschte er sich, sie würden aufwachen, ihn in die Arme nehmen und ihm tröstende Worte zuflüstern. Doch andererseits hoffte er, dass sie weiterschliefen und ihn seine lange Reise antreten lassen würden, eine Reise, von der er nie zurückkehren würde.
    Er legte die Hand auf seine sorgfältig gefalteten Kleider – Ordnung, eine weitere Marotte M’a At-Skins – und zog sich hastig an. Schwieriger war es, seine gefütterten Stiefel zu finden, weil seine Mutter sie absurderweise manchmal in den Schrank unter dem Ausguss zu den Reinigungsmitteln stellte. Schließlich fand er sie, schlüpfte hinein und ging, immer noch vorsichtig tastend, zur Tür. Der Strahl einer mobilen Straßenlaterne drang durch einen Spalt der Antistrahlenrollos und wurde vom kugelförmigen Bildschirm des Holovisi onsgeräts reflektiert.
    Da Ut-Gen ein unbedeutender Planet des Imperiums war, konnten die Bewohner keine transstellaren Sendungen mehr empfangen, und über die nötigen Strukturen, eigene
zu realisieren, verfügten sie nicht. Trotzdem hatte P’a At-Skin die Empfangskugel behalten. Sie sei hübsch als Dekoration, hatte er behautet. Doch vor allem war sie ein demonstrativ zur Schau gestelltes Objekt des Reichtums der Familie At-Skin, weil sich damals nur wenige Utgenianer eine Bildschirmkugel hatten leisten können.
    Die Hand auf dem Türgriff drehte sich Jek noch einmal um und warf einen letzten Blick in den dunklen Raum. Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit und Traurigkeit überkam ihn und hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund. Sekundenlang war er versucht, seinen wahnsinnigen Plan aufzugeben und in die Geborgenheit seines noch warmen Betts zu kriechen. Dann dachte er daran, was die Kreuzianer aus ihm in dieser trostlosen Stadt Oul-Bahi machen würden, an die unüberwindbaren Mauern der heiligen Propagandaschule und die strengen Gesichter der Missionare. Das bestärkte ihn in seinem Entschluss. Und was würde sein Fortgehen für seine Eltern bedeuten? Nur eins: dass er ging, ehe sie ihn fortjagen konnten.
    Nur mühsam unterdrückte er seine Tränen, als er vorsichtig die Tür einen Spalt öffnete. Sein Vater hatte vorsorglich auch Jeks Zellenabdrücke in den Identifikator eingegeben, sodass jetzt kein Alarm ausgelöst wurde. Als er auf dem Bürgersteig stand, hatte er das Gefühl, sich in einer feindlichen Welt zu befinden.
    Die Straßenlaternen verbreiteten nur diffuses Licht; sie glichen runden kurzsichtigen Augen, denen es nicht gelang, den dichten, über der Stadt liegenden Nebel zu durchdringen. Glücklicherweise war die
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