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Teranesia

Titel: Teranesia
Autoren: Greg Egan
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sie, dass sie so weich wie zuvor war. Sein Puls ging langsamer, aber er war nicht schwächer geworden. Sie legte ihre Finger an seine Nase und spürte das Flattern des dünnen Polymerfilms.
    Sie konnte ihn nicht töten, ganz gleich, womit sie ihn vollpumpte. Und selbst wenn das nicht stimmte, konnte sie nicht ein Gift nach dem anderen ausprobieren, bis das Betäubungsmittel vollständig abgebaut war und Prabir wieder aufwachte, während ihm irgendein neues Gift Todesqualen bereitete.
    Er konnte nicht bei Bewusstsein sein, er konnte nichts mehr spüren. Er lag im tiefsten Koma, er nahm nichts mehr wahr. Sie versuchte ein Augenlid zu heben, aber es war erstarrt. Sie wandte sich ab, ihre Kehle war zugeschnürt, sie bekam kaum noch Luft. »Ich kann es nicht! Ich kann es nicht tun!«
    Sie starrte aufs Meer hinaus, während sie ruhig zu atmen versuchte, damit sie ihre Aufgabe zu Ende bringen konnte. Wenn er die Metamorphose überlebte, würde er nicht mehr ihr Bruder sein. Noch viel schlimmer: Er würde nicht mehr das sein, was er sein wollte. Als die Wahrheit offensichtlich geworden war, hätte sie beinahe angeboten, ihm zu folgen. Du musst es nicht allein tun. Ich werde mir dein Blut injizieren, damit wir uns gemeinsam verändern können. Doch dann war ihr klar geworden, dass sie – selbst wenn sie es in diesem Augenblick ehrlich gemeint hätte – später wieder einen Rückzieher gemacht hätte. Es war nicht unmöglich, dass das Gen seinen Wirten Vorteile verschaffte, die sie als lohnenswert empfinden würden, aber sie war nicht bereit, ihre Seele auf ein Kartenblatt zu verwetten, das sie gar nicht selbst in der Hand hielt.
    Weder ihre eigene noch Prabirs.
    Sie wandte sich ab, ohne ihn anzusehen, und griff nach einem Treibstoffkanister. Sie schraubte den Deckel ab und warf ihn ins Meer. »Okay. Er wird nichts davon spüren.«
    Sie bückte sich. Er trug immer noch die Schwimmweste, und sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, das der brennende Kunststoff an ihm klebte, auch wenn das Dinghi aus fast demselben Material bestand. Sie löste die Riemen und zog ihm die Weste aus.
    »Okay. Weiter.« Sie schüttete etwas Diesel auf seinen Oberkörper.
    Wo die Flüssigkeit auf den Panzer traf, warf er sofort Blasen und löste sich in Sprühnebel auf. Madhusree heulte bestürzt auf und wich zurück. »Tut mir Leid! Tut mir Leid!« Sie kauerte sich zu Prabirs Füßen hin und hielt sich den Kopf. »Ich kann es nicht tun! Ich schaffe es nicht!« Sie drückte die Handballen gegen die Augen, dann trommelte sie sich mit den Fäusten gegen die Stirn.
    Sie wartete, bis sie nichts mehr spürte. Nur ein paar Minuten lang, lange genug, um es zu Ende zu bringen. Sie summte leise vor sich. »Du bleibst in meinem Kopf. Du bleibst in meinen Erinnerungen.«
    Das war nicht genug.
    Aber es war mehr, als das Gen von ihm übrig lassen würde.
    Sie öffnete die Augen und stand erschöpft auf. »Okay. Gemeinsam werden wir es schaffen.« Sie blickte hinunter. Sie konnte immer noch sein Gesicht zwischen den knorpeligen Höckern erkennen. Dort, wo der Diesel auf seine Brust gespritzt war, befand sich eine Blase voll grauer Flüssigkeit, aber es war kein Blut darin. Kein Prabir. Sie glaubte nicht, dass er irgendeinen Schmerz verspürt hatte.
    »Warum hast du ihn uns genommen? Was willst du von uns?«
    Nichts. Es verfolgte keinerlei Ziel, keinerlei Bestimmung. Keine Absicht einer Reise, keinen Endpunkt. Es wollte nichts außer sich selbst. Und mehr davon.
    Es wollte ihn gar nicht.
    Sie hatte es auf die falsche Weise bekämpft.
    Sie drehte seinen erstarrten Körper um und suchte den Rücken ab. Irgendwo musste sich eine weitere Blase befinden, ein Furunkel, ein Pickel, ganz gleich wie winzig, an einer Stelle, die nicht vom Diesel benetzt worden war. Nichts war perfekt, nichts. Irgendein winziger Teil der infizierten Zellen musste irgendeinen Fehler aufweisen, sodass sein Körper sie an die Oberfläche drängte, in der Hoffnung, sie dadurch loszuwerden.
    Warum hatte sich das São-Paulo-Gen nicht in einen Virus eingenistet? Weil ein Virusgenom zu andersartig war, um von irgendeinem Wirt als verwandt wahrgenommen zu werden; die erforderlichen Änderungen wären zu extrem. Es glaubte, es würde verlieren, wenn es seinen Körper verließ; es glaubte, dass es sein Ende bedeuten würde. Sie musste ihm nur das Gegenteil beweisen – auf eine Weise, die ihm keine Macht gab, sich auszubreiten.
    Da. Auf einem Flecken aus authentischer Haut – ein winziger
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