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Teranesia

Titel: Teranesia
Autoren: Greg Egan
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Liebe, Aufrichtigkeit, Intelligenz, Bewusstsein –, sind nicht mehr als Unfälle. Treibgut, das zufällig an den Strand gespült wurde. Jetzt kommt die Flut und spült alles wieder fort.«
    *
    Prabir sah nur noch wolkenlosen Himmel. Er hatte kein Empfinden für die Wärme der Sonne mehr, und die Bewegung des Bootes war fast völlig aus seinem Bewusstsein verschwunden. In langsamen Wellen wurde er von Furcht und Klaustrophobie überschwemmt. Er wollte mehr von allem. Mehr Wissen, mehr Freundschaft, mehr Sex, mehr Musik. Er wollte die Revolution erleben, er wollte sehen, wie der Kampf gewonnen wurde. Sein Gefühl des Verlusts vermischte sich mit dem Eindruck der Eingeengtheit; er war lebendig begraben, obwohl er noch den Himmel sah. Als sich die Welle zurückzog, konnte er beinahe darüber lachen: Er hatte jetzt nichts mehr vom Tod zu befürchten, er hatte soeben den schlimmsten Teil des Sterbens überstanden. Doch schon eine Minute später war dieser Gedanke kein Trost mehr.
    Madhusree kam in sein Sichtfeld. Prabir sagte: »Die erwachsenen Schmetterlinge hat es zumindest in die Diapause versetzt. Man könnte meinen, es hätte sich für mich etwas ganz Besonderes ausgedacht.«
    »Ich werde dich jetzt betäuben. Bist du einverstanden?« Es war nicht mehr viel Haut übrig, wo ein Pfeil eindringen konnte, aber die Venen waren noch frei.
    »Ja. Nimm den ganzen Rest deines Vorrats. Dann verbrenn die Leiche. Nimm so viel Diesel, wie du entbehren kannst. Okay?«
    Madhusree nickte kaum wahrnehmbar.
    »Es tut mir Leid«, sagte Prabir, »dass ich dich in diese Situation gebracht habe, aber es geht nicht anders. Du darfst dir niemals auch nur die geringste Schuld daran geben.«
    Sie wandte den Blick ab. »Wer wird jetzt mit mir den Wagen ziehen?«
    »Frag doch Felix.«
    Sie lachte. »Felix mit Haken im Rücken?«
    »Er wird begeistert sein. Er wird bei jedem Schritt ein Feuerwerk sehen.«
    Als sie auf ihn herabblickte, mit der Andeutung eines Lächelns, und sich die Tränen abwischte, riss etwas hinter seinen Augen auf, und er fühlte eine Welle des Glücks. Es war all das, was er auch für Felix empfunden hatte, und es war mehr als nur Begehren, es war wie die Erinnerung, als sein Vater oder seine Mutter ihn in den Armen gehalten hatten, es war alles, was er in ihren Gesichtern gesehen hatte, wenn sie ihn emporgehoben und zu ihm aufgeblickt hatten.
    Es war ihm jetzt gleichgültig geworden, woher es kam, ob er es gestohlen hatte oder nicht, ob er es sich verdient hatte oder nicht. Wenn er sie auf diese Weise liebte und sie etwas davon spürte, war es weder egoistisch noch böse oder unaufrichtig. Auch wenn es uralt und unbewusst war, würde er es mit den Milliarden Jahre alten Wurzeln herausreißen und es ins volle Licht des Bewusstseins zerren, um es zu seinem ureigenen Besitz zu erklären.
    »Schnapp dir die guten Sachen und renn weg«, sagte er.
    Als er hörte, wie die Nadel in das Röhrchen stach, und spürte, wie eine kühle Flüssigkeit in seine Vene sickerte, sah Prabir das Meer von oben. Madhusree beugte sich zurück, während ihr Haar im Wind flatterte, und zerschnitt das Seil zwischen ihnen. Sie löste sich von ihm und raste davon, um das brennende Boot hinter sich zu lassen.

15
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    Madhusree beugte sich über den Rand des Dinghis und erbrach sich ins Wasser. Sie konnte ihr Zähneklappern nicht beherrschen. »Es tut mir Leid, bhai, es tut mir so Leid. Ich habe alles verdorben. Ich habe alles verpatzt.« Wieder vergewisserte sie sich, aber Prabir atmete noch immer. Nach sechs Dosen.
    Sie steckte das letzte Röhrchen in die Spritze. Es war unmöglich. Sein Gehirn müsste längst überflutet sein, jedes Organ müsste vergiftet sein. Es gab nichts, womit er diese Mengen in so kurzer Zeit abbauen konnte.
    Sie drückte auf den Injektionsknopf, dann warf sie sich zurück, während sie sich die Haare raufte. »Es tut mir Leid, so Leid.« Sie wischte sich Schleim vom Gesicht auf die Schulter. Sie sollte sich mit den Handschuhen nicht selbst berühren.
    Sie wartete, sie summte vor sich hin, sie versuchte nicht zu weinen. Später. Sie würde später um ihn trauern, wenn sie getan hatte, was er von ihr verlangt hatte.
    Dann schluchzte sie. »Warum bist du mir gefolgt? Warum bist du hierher gekommen? Du blöder Scheißkerl! Ich hätte zur Insel gehen sollen. Ich hätte tun sollen, was du getan hast.«
    Sie beugte sich wieder vor und berührte die immer noch menschliche Haut seines Halses. Selbst durch die Handschuhe spürte
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