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Teranesia

Titel: Teranesia
Autoren: Greg Egan
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das alles führen?«
    »Wie meinst du das?«
    Prabir zögerte. »Aceh. Kalimantan. Irian Jaya. Hier.« Wenn er und sein Vater in den vergangenen Jahren gemeinsam die Nachrichten gehört hatten, hatte sein Vater ihm immer mehr über die regionale Geschichte erzählt, worauf Prabir das Thema im Netz weiter verfolgt hatte. Irian Jaya und die Molukken waren von Indonesien annektiert worden, als die Niederländer sich Mitte des vergangenen Jahrhunderts zurückgezogen hatten. In beiden Regionen gab es einen hohen Anteil von Christen und separatistische Bewegungen, die fest entschlossen waren, Osttimor in die Unabhängigkeit zu folgen. Aceh, das an der Nordwestspitze von Sumatra lag, war ein ganz anderer Fall – die moslemischen Separatisten hielten die Regierung für viel zu weltlich – und Kalimantan blickte auf eine lange und komplizierte Geschichte mit zahlreichen Einwanderungen und Eroberungen zurück. Die Regierung in Jakarta hatte beschwichtigend von einer ›begrenzten Autonomie‹ für diese abgelegenen Provinzen gesprochen, doch der Minister für Innere Sicherheit hatte vor wenigen Wochen mit einer Bemerkung Schlagzeilen gemacht, in der es um die ›Eliminierung der Separatisten‹ ging. Der Präsident hatte ihn ermahnt, seine Sprache zu mäßigen, aber die Armee schien der Ansicht zu sein, dass es genau die richtige Sprache war.
    Sein Vater ging neben ihm in die Hocke und senkte die Stimme. »Soll ich dir sagen, was ich glaube?«
    »Ja.« Prabir hätte ihn beinahe gefragt, warum sie plötzlich flüsterten. Aber er kannte den Grund bereits. Sie saßen für einen unabsehbaren Zeitraum auf der Insel fest, und er musste zumindest einen Teil der Gründe erfahren, aber in erster Linie hatte sein Vater die Anweisung erhalten, ihm keine Angst einzujagen.
    »Ich glaube, das javanische Imperium steht kurz vor dem Ende. Und genauso wie die Niederländer und die Portugiesen und die Briten werden auch sie irgendwann lernen müssen, innerhalb ihrer eigenen Grenzen zu leben. Aber es ist kein einfacher Lernprozess. Zu viel steht auf dem Spiel: Erdöl, Fischgründe, Holz. Selbst wenn die Regierung bereit wäre, sich aus den problematischeren Provinzen zurückzuziehen, gibt es immer noch Leute, die sehr viel Geld mit Konzessionen verdienen, die noch in der Suharto-Ära vergeben wurden. Und dazu gehören auch eine Menge Generäle.«
    »Glaubst du, dass es zum Krieg kommt?« Im selben Augenblick, als er das Wort aussprach, spürte Prabir, wie ihm eiskalt wurde – wie es auch geschah, wenn er genau vor sich einen Python auf einem Ast sah. Nicht weil er wirklich um sein Leben fürchtete, sondern vor Entsetzen über all die unsichtbaren Tode, die bereits die einfache Existenz dieses Geschöpfes implizierte.
    »Ich glaube«, sagte sein Vater vorsichtig, »dass es zu Veränderungen kommt. Und sie werden sich nicht reibungslos vollziehen.«
    Plötzlich nahm er Prabir in die Arme und hob ihn hoch. »Oh, bist du schwer geworden!«, stöhnte er. »Du wirst mich zerquetschen!« Es war nicht nur scherzhaft gemeint, denn Prabir spürte, wie seine Arme unter der Anstrengung zitterten. Doch es gelang ihm, die Hütte zu verlassen; er duckte sich, damit sie zusammen durch den Eingang passten, dann drehte er sich langsam im Kreis, als er Prabir lachend durch den Kampung trug, unter Palmwedeln und erwachenden Sternen.

2
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    Prabir hatte seinem Vater das Leben gestohlen, aber letztlich war sein Vater selbst schuld daran, zumindest teilweise. Und da das Original in keiner Weise beeinträchtigt wurde, handelte es sich eigentlich gar nicht um einen richtigen Diebstahl. Eher um eine Art Cloning.
    Als Prabir um die Erlaubnis gebeten hatte, ihre Satellitenverbindung zum Netz für mehr als nur die Schulaufgaben benutzen zu dürfen, hatte er seinem Vater versprechen müssen, nicht einmal dem harmlosesten Fremden sein wahres Alter zu verraten. »Es gibt Leute, die sich bei der ersten Begegnung mit einem Kind sofort Dinge wünschen, die nur zwischen Erwachsenen geschehen sollten«, hatte er geheimnisvoll erklärt. Prabir hatte diesen Euphemismus sofort decodiert, obwohl er sich nicht recht vorstellen konnte, wie ihm jemand schaden sollte, der mehrere tausend Kilometer entfernt war. Er war in Versuchung gewesen zu erwidern, dass es noch mehr Leute geben dürfte, die ihn wie einen Erwachsenen behandeln wollten, wenn er sich als solchen ausgab, aber er hatte intuitiv gespürt, das dies kein Thema war, zu dem sein Vater klugscheißerische Bemerkungen
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