Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tentakelwacht

Tentakelwacht

Titel: Tentakelwacht
Autoren: Dirk van den Boom
Vom Netzwerk:
sich selbst überlassen. José hatte sich natürlich neben Slap gesetzt. Dieser ahnte nichts Gutes. Es war sein Schicksal, dass sich egal, welches Transportmittel er benutzte, immer die Verrückten oder Derangierten neben ihn setzten, um ihm ihre Lebensgeschichte zu beichten oder ihn einfach als Objekt für sinnloses Gequassel zu nutzen. Slap schloss die Augen.
    Das hielt José nicht davon ab, mit einer Hand Slaps Unterarm zu ergreifen. Der Griff war fest, fast schon schmerzhaft. José hatte offenbar Flugangst, die ideale Voraussetzung für eine Dienstzeit im Weltraum. Slap wollte es ihm übel nehmen, konnte es aber nicht: Die wenigsten Normalbewohner der Erde hatten die Gelegenheit, jemals in ihrem Leben ein Flugzeug zu besteigen. Mobilität wurde durch die Regierung nicht gefördert, lange Reisen waren beschwerlich, da man die nur lose miteinander verbundenen, unterirdischen Bahnsysteme dazu verwenden musste. Diese Bahnen fuhren zwar oft, aber oft auch nur langsam, und die zusammenhängenden Streckenabschnitte waren kurz. Das unterirdische Tunnelsystem war vor allen Dingen als Operationsebene für die Tentakelwacht angelegt worden, sollten die gefürchteten Aliens eines Tages tatsächlich zur Erde zurückkehren, wie die offizielle Propaganda immer wieder auf sie einhämmerte.
    Slap vermochte nicht so recht daran zu glauben, wie so viele seiner Generation. Dass er nun ausgerechnet die Erde gegen den vermeintlichen Feind zu verteidigen hatte – und das mehr oder weniger für den Rest seines Lebens –, fand er durchaus ironisch.
    Das Shuttle schnellte vorwärts und nahm rasant Beschleunigung auf. Dann hob es sich in die Lüfte. Der Magen wanderte in den Keller. Slap ahnte, auch ohne hinzusehen, dass Josés Hand deswegen von seinem Unterarm verschwunden war, weil er beide Hände benötigte, um nach der Kotztüte zu suchen.
    Er hoffte, dass die Suche von Erfolg gekrönt sein würde.
    Ein würgendes Geräusch neben ihm bestätigte seine Befürchtung. Ein stechender Geruch wanderte durch die Kabine, als zwei weitere Rekruten ihr Innerstes nach außen kehrten. Es knisterte. Slap öffnete seine Augen nicht. Ja, José hatte die Kotztüte gefunden. Slap war dankbar für die kleinen Freuden des Lebens. Obgleich das Shuttle sicher über künstliche Gravitation verfügte, wusste man bei diesen alten Kisten nie, ob mal etwas ausfiel. Herumfliegende Brocken von Halbverdautem in der Schwerelosigkeit – nein, auf diese Art von Erfahrung war Slap nicht scharf. Er betete, dass die alte Mühle ihren Dienst tun würde. Er konnte schließlich nicht davon ausgehen, dass José die erbeutete Tüte auch ordnungsgemäß verschließen würde.
    Der Flug dauerte nicht lange.
    Sobald sie das Schwerefeld der Erde verlassen hatten, sprang die Gravitationskontrolle ein. Der Flug wurde angenehm sanft und Slap konnte einen ausgiebigen Blick auf die schimmernde Kugel der Erde unter ihm werfen. Von hier oben merkte man gar nicht mehr, was für ein Drecksloch das eigentlich war. Er war sich nicht sicher, ob er jemals wieder einen Fuß auf ihre Oberfläche setzen würde.
    Es knackte und die gelangweilte Stimme des Piloten erklang. »In einer halben Stunde werden wir die L5-Station erreicht haben. Von dort werden Sie auf den interplanetaren Transport Richtung Mars gebracht. Auf L5 haben wir etwa eine Stunde Aufenthalt, aber es wird keine Möglichkeit für eine Besichtigungstour geben. Bleiben Sie bitte einfach im Wartebereich sitzen. Es gibt dort Toiletten und Nahrungsautomaten.«
    Dann war die Ansage auch schon beendet.
    Fast genau dreißig Minuten später glitt das Shuttle in den großen Hangar der L5-Station. Von hier und nicht vom völlig abgeriegelten militärischen HQ auf dem Mond wurde der gesamte Verkehr zwischen der Erde und den Kolonien sowie Außenstationen abgewickelt. Außerhalb der Erde gab es nur noch auf dem Mars sowie auf dem Thetis-Habitat eine nennenswerte zivile Bevölkerung. Der Mars war in manchen Dingen sogar eine bessere Lebensumwelt als die Erde, war der Planet während der Tentakelinvasion doch weitgehend von Zerstörungen verschont geblieben. Man hatte dort auch sehr stark vom ökonomischen Aufschwung des Wiederaufbaus profitiert. Nach offiziellen Informationen lebten dort mittlerweile rund 25 Millionen Menschen unter großen Habitatkuppeln. Die gigantischen Terraformtürme, die die Atmosphäre veränderten, waren zwar schon seit lange im Einsatz, aber nach allgemeiner Schätzung würde es mindestens 200 Jahre dauern, bis die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher