Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Titel: Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
von Unsicherheiten, Enttäuschungen und mangelhafter Ernährung geplagter Indianer. Das alles führt üblicherweise und ganz natürlich zu dem vorhersehbaren hohen Blutdruck - eine normale Begleiterscheinung meines Alters.
    Ich habe keine Probleme mit erhöhtem Blutdruck«, fuhr er fort. »Aber nicht, weil ich kräftiger bin als normale Menschen, oder dank meiner genetischen Struktur, sondern weil die magischen Bewegungen meinem Körper erlauben, jene Verhaltensmuster zu durchbrechen, die zu erhöhtem Blutdruck führen. Ich kann aufrichtig sagen, immer wenn ich bei einer magischen Bewegung meine Gelenke knacken lasse, wehre ich die Flut von Erwartungen und Verhaltensweisen ab, die in meinem Alter normalerweise zu hohem Blutdruck führen.
    Noch ein Beispiel, das ich dir geben kann«, sagte er, »ist die Beweglichkeit meiner Knie. Hast du noch nicht gemerkt, daß ich sehr viel gelenkiger bin als du? Wenn es darum geht, meine Knie zu bewegen, bin ich jung! Mit meinen magischen Bewegungen errichte ich einen Damm gegen den Ansturm von Verhaltensweisen und körperlichen Gewohnheiten, die im Alter die Knie von Männern und Frauen steif werden lassen.« Es ärgerte mich maßlos, daß Don Juan Matus, obwohl er mein Großvater hätte sein können, unendlich viel »jünger« war als ich. Im Vergleich zu ihm war ich steif, halsstarrig und wiederholte mich ständig. Ich war senil. Er dagegen war temperamentvoll, kreativ, gelenkig, einfallsreich. Er besaß etwas, das ich, obwohl ich noch jung war, nicht hatte: Jugend. Vergnügt sagte er mir immer wieder, daß jung sein nichts mit Jugend zu tun habe. Jungsein bewahre niemanden vor Senilität. Würde ich meine Mitmenschen aufmerksam und unvoreingenommen beobachten, so könnte ich feststellen, daß sie schon mit zwanzig Jahren senil und voll langweiliger Routine sind.
    »Wie ist es möglich, Don Juan«, fragte ich, »daß du jugendlicher sein kannst als ich?«
    »Ich habe meinen Verstand überwunden«, antwortete er und riß in gespielter Verblüffung die Augen weit auf. »Mein Verstand kann mir nicht vorschreiben, daß es an der Zeit ist, alt zu werden. Ich halte mich nicht an Verträge, an denen ich nicht mitgewirkt habe. Denk immer daran, es ist nicht nur eine Redensart, wenn die Zauberer sagen, daß sie sich an keine Verträge halten, an denen sie nicht mitgewirkt haben. Unter dem Alter zu leiden, ist solch ein Vertrag.«
    Wir schwiegen lange. Ich hatte den Eindruck, Don Juan schien abzuwarten, welche Wirkung seine Worte auf mich haben würden. Meine psychologische Ganzheit oder das, was ich mir darunter vorstellte, wurde durch eine zwiespältige Reaktion meinerseits noch mehr erschüttert. Auf einer Ebene wies ich entschieden den Unsinn zurück, den Don Juan verbalisierte. Auf einer anderen Ebene aber konnte mir nicht verborgen bleiben, wie zutreffend seine Bemerkungen waren. Don Juan war alt, und doch war er überhaupt nicht alt. Er war unendlich viel jünger als ich. Ihn hemmten keine Gedanken und Gewohnheiten. Er bewegte sich in unglaublichen Welten. Er war frei, während ich ein Gefangener von schwerfälligen Denkmustern und Gewohnheiten war, von kleinlichen und vergeblichen Rücksichten auf mich selbst, die, wie mir bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal bewußt wurde, nicht einmal meine eigenen waren.
    Bei anderer Gelegenheit stellte ich Don Juan eine Frage, die mich seit langem beunruhigte. Er hatte behauptet, daß die Zauberer des alten Mexiko die magischen Bewegungen wie einen verborgenen Schatz entdeckt hätten, der nur darauf warte, von den Menschen gefunden zu werden. Ich wollte wissen, wer einen solchen Schatz für die Menschen vergraben hatte. Das einzige, was mir einfiel, war eine aus dem Katholizismus übernommene Vorstellung. Ich dachte, daß Gott, ein Schutzengel oder der Heilige Geist so etwas tun würde.
    »Es ist nicht der Heilige Geist«, erklärte er, »der dir nur heilig ist, weil du insgeheim Katholik bist. Und ganz gewiß ist es nicht Gott, der gütige Vater, wie du dir Gott vorstellst. Es ist auch keine Göttin, eine nährende Mutter, die über die Taten der Menschen wacht, wie manche glauben. Es ist eine unpersönliche Kraft, die unendlich viel für jene bereithält, die den Mut haben, danach zu suchen. Es ist eine Kraft im Universum, wie das Licht oder die Schwerkraft. Es ist ein Katalysator, eine vibrierende Kraft, die das Konglomerat der Energiefelder, aus denen der Mensch besteht, zu einer klar umrissenen, kohärenten Einheit zusammenfügt. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher