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Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Titel: Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer
Autoren: Carlos Castaneda
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ich.
    »Alles, was wir auf der Welt tun«, erwiderte er, »erkennen und identifizieren wir, indem wir es in Ahnlichkeitsreihen übersetzen, in Reihen von Dingen, die durch Zwecke miteinander verknüpft sind. Wenn ich zum Beispiel Gabel sage, denkst du sofort an Löffel, Messer, Tischtuch, Serviette, Teller, Tasse und Untertasse, Weinglas, Chili con carne, Festmahl, Geburtstag, Fiesta Man könnte bis in alle Ewigkeit fortfahren, Dinge aufzuzählen, die durch Zwecke miteinander verknüpft sind. Alles, was wir tun, ist auf diese Weise miteinander verbunden. Für die Zauberer ist daran nur merkwürdig, daß sie sehen, wie alle diese Affinitätsketten, diese Reihen der durch Zwecke verknüpften Dinge, mit dem Glauben des Menschen zusammenhängen, daß die Dinge so unwandelbar und ewig sind wie das Wort Gottes.«
    »Ich begreife nicht, Don Juan, warum du bei dieser Erklärung das Wort Gottes ins Spiel bringst. Was hat das Wort Gottes mit dem Thema zu tun, das du erklären willst?«
    »Alles!« erwiderte er. »Für unser Denken, so scheint es, ist das ganze Universum wie das Wort Gottes absolut und unwandelbar. So jedenfalls verhalten wir uns. In der Tiefe unseres Denkens gibt es eine Kontrollinstanz, die uns nicht erlaubt, innezuhalten und festzustellen, daß das Wort Gottes, so wie wir es kennen und begreifen, auf eine tote Welt zutrifft. Eine lebendige Welt hingegen ist dauernd im Fluß. Sie bewegt sich. Sie verändert sich. Sie ist im Wandel.
    Der abstrakteste Grund dafür, daß die magischen Bewegungen der Zauberer meiner Tradition tatsächlich magisch sind«, fuhr er fort, »ist die Tatsache, daß der Körper während der Bewegung erkennt, daß die scheinbar ununterbrochene Kette von durch Affinität verknüpften Objekten ein einziges Strömen und Fließen ist. Und wenn alles im Universum strömt und fließt, kann dieser Fluß angehalten werden. Man kann einen Damm errichten und auf diese Weise den Strom zum Stillstand bringen oder umleiten.«
    Don Juan erklärte mir einmal die grundsätzliche Wirkung der magischen Bewegungen auf die Zauberer seiner Tradition und verglich sie dabei mit der möglichen Wirkung auf diejenigen, die sie in unserer Zeit ausüben.
    »Die Zauberer meiner Tradition«, sagte er, »waren zu Tode erschrocken, als sie erkannten, daß das Ausüben der magischen Bewegungen den sonst ununterbrochenen Fluß der Dinge zum Stillstand brachte. Sie ersannen eine Reihe von Metaphern, um das Anhalten zu beschreiben. Aber in dem Bemühen, es zu erklären oder zu überprüfen, verpfuschten sie alles. Sie verloren sich in Ritualen und Zeremonien. Sie begannen. den Stillstand der im Fluß befindlichen Dinge zu inszenieren. Sie glaubten, wenn sie einen Aspekt der magischen Bewegungen mit gewissen Zeremonien und Ritualen umgäben, dann würden die magischen Bewegungen an sich ein bestimmtes Ergebnis hervorrufen. Bald aber wurde die Vielzahl und Kompliziertheit ihrer Rituale und Zeremonien zu einer größeren Belastung als die Zahl der magischen Bewegungen.
    Es ist sehr wichtig«, fuhr er fort, »die Aufmerksamkeit des Übenden auf einen bestimmten Aspekt der magischen Bewegungen zu lenken. Diese Konzentration sollte aber unbeschwert, heiter und frei von Schwermut und Düsterkeit sein. Das Üben sollte Spaß machen, ohne daß man sich einen Nutzen davon erwartet.«
    Er verwies auf das Beispiel eines seiner Gefährten, ein Zauberer mit Namen Silvio Manuel, der mit Vorliebe die magischen Bewegungen der Zauberer aus alter Zeit für seine modernen Tanzdarbietungen adaptierte. Don Juan beschrieb Silvio Manuel als hervorragenden Akrobaten und erstklassigen Tänzer, der die magischen Bewegungen tatsächlich tanzte.
    »Der Nagual Elias Ulloa«, fuhr Don Juan fort, »war der bekannteste Neuerer meiner Tradition. Er war es, der alle Rituale sozusagen über Bord warf und die magischen Bewegungen ausschließlich zu dem Zweck benutzte, zu dem sie einst in ferner Vergangenheit dienten, nämlich dem Zweck, die Energie umzuverteilen.
    Der Nagual Julian Osorio, der ihm nachfolgte, hat den Ritualen endgültig den Todesstoß versetzt. Da er von Beruf Schauspieler war und seinen Lebensunterhalt zeitweilig am Theater verdiente, hatte das von den Zauberern so genannte schamanistische Theater für ihn eine große Bedeutung. Er selbst nannte es das Theater der Unendlichkeit und integrierte bei den Aufführungen alle magischen Bewegungen, die er beherrschte. Jede Bewegung seiner Bühnenfiguren war vom Geist der magischen Bewegungen
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