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Tempel der Unsterblichen

Tempel der Unsterblichen

Titel: Tempel der Unsterblichen
Autoren: Vampira VA
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Gottkönige, die über Mayabs Zukunft wachten.
    Zukunft!
    Tikals Atem flog. Irgend etwas schien ihn festhalten und daran hindern zu wollen, Viejo zu folgen. Aber er setzte sich gegen den Sog, der an ihm zerrte, durch. Die Öllichter säumten den Lauf der Treppe und markierten auch den höchsten Punkt des Stufentempels Dann war Tikal auf der Plattform angelangt, dort wo zu Zeiten der nächtlichen Sonne geopfert wurde. Und wohin es nun auch Viejo getrieben hatte .
    Tikal war sofort überzeugt, daß die Gestalt, die sich schemenhaft vom Altartisch abhob, nur seine über alles geliebte Schwester sein konnte. Noch während er auf sie zurannte, rief er sie beim Namen.
    »Nicht, Viejo, tu es nicht ...!«
    Für Momente vergaß er sogar die immense Gefahr, der er sich aussetzte. Auch wenn es den Anschein hatte, als ruhte die Anlage zu dieser Nachtstunde von sämtlichen Priestern verwaist unter der erdrückenden Schwärze des Himmels, so konnte man sich dessen doch kaum gewiß sein.
    »Viejo ...!«
    Noch in der Annäherung glaubte er zu sehen, daß sich Viejo, die mit dem Oberkörper auf der Altarplatte lag, bewegte. Aber die Lichter, die an den Außenrändern der am höchsten gelegenen Plattform aufgestellt waren, vermochten den Opferbereich kaum aufzuhellen, so daß er sich geirrt haben konnte. Tikal überbrückte die Distanz zwischen sich und dem Altar so schnell wie noch nie in seinem Leben. In seinem Kopf war kaum noch Platz für irgendeinen anderen Gedanken als: Sie darf es nicht tun! Sie darf mich nicht auch noch ... allein lassen!
    Und noch während er dies dachte, war er bei ihr, packte sie mit beiden Händen und - Sie fühlte sich beinahe so leblos an wie ein mit Sand gefüllter Beutel!
    Beinahe .
    Die skulptierte Opferszene auf dem Altarstein schien Tikal zu verhöhnen, als wollte sie ihm zuraunen: Zu spät! Du kommst zu spät! Ich habe ihr Blut bereits gekostet und bin davon angetan.
    Sie war tatsächlich voller Blut.
    »Viejo ...!!«
    Sie hatte sich die Adern an beiden Unterarmen längs aufgeschnitten. Anfangs mußte das Blut regelrecht herausgeschossen sein. Mittlerweile strömte es nur noch unmerklich nach, und das hieß nichts anderes, als daß - »Viejo!«
    Tikal drehte seine Schwester auf den Rücken, und was er schon nicht mehr erwartet hatte, geschah: Ihre Lider flatterten wie die Brust eines kleinen Vogels, unter dessen Flaumgefieder ein ängstliches Herz pochte.
    Dann sprangen sie auf.
    »Ich bin es, Tikal, dein Bruder - erkennst du mich?«
    Erschüttert stellte er fest, daß ihm längst klargeworden war, nichts mehr für sie tun zu können. Jede Wundversorgung kam zu spät. Er krümmte sich.
    »Tikal ... verzeih ...«
    Es war kaum mehr als ein Hauch, der sich von ihren blassen Lippen löste.
    Tikal wünschte sich mehr Helligkeit, um noch einmal die Anmut ihrer Züge betrachten zu können, solange sie atmete. Der Tod, das wußte er aus Erfahrung, würde sie schändlich behandeln. Der Tod war häßlich, und genau das würde sich auch auf Viejos Antlitz niederschlagen.
    »Natürlich - natürlich verzeihe ich dir. Aber warum hast du das getan? Du -« Er verstummte. Die Kalligraphie in Stein, die sie ihm hinterlassen hatte, gab Aufschluß über diese Frage. Sie schilderte Viejos Leidensweg, die sich das Sterben ihrer Nächsten noch viel mehr zu Herzen genommen zu haben schien als Tikal.
    Vielleicht hätte sie früher darüber reden sollen, mit ihm. Oder hatte sie es etwa versucht, und er hatte ihr kein Gehör geschenkt? Hatte ihn die eigene Trauer taub für die Hilfeschreie seiner Schwester gemacht?
    Tikal ertappte sich dabei, wie es nicht nur seine Blicke, sondern auch machtvoll seine tiefverborgenen Sehnsüchte auf den Dolch zog, der neben dem Altar lag und mit dem sich Viejo die Lebensadern aufgeschnitten hatte.
    Sollte er es ihr nachtun?
    Sollte er ihr dorthin folgen, wohin schon so viele vorausgegangen waren - und wo noch Platz für zahllose Neuankömmlinge war?
    Dieselbe monströse Kraft, die ihn vorhin daran hatte hindern wollen, die Suche nach Viejo aufzunehmen, schien nun darauf zu drängen, die Klinge zu ergreifen und die einzige noch verbliebene Möglichkeit zu wählen, um seiner Schwester auch künftig .
    Viejos bittersüße Stimme brachte sein noch gar nicht vollendetes Gedankengebäude zum Einsturz. Sie flüsterte: »Tikal ... Wenn du schon da bist, so bitte ich dich: Tu du es! Erlöse du mich! Du weißt, was ich meine . Und hör nicht auf das, was ich sage, wenn ich nicht mehr die bin, die du
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