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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften
Autoren: Jörg Steinleitner
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aufgewachsen, es ist an sich unerklärlich, dass sich so einer umbringt, aber …«
    Nonnenmacher dachte nach, sodass eine Pause entstand, in die Anne hineinfragen konnte, wann sich zuletzt jemand in Tegernsee das Leben genommen habe.
    Â»Hier, ja mei, also hier bringt man sich an sich nicht um. Wissen Sie, der Tegernsee, das ist quasi …«, Nonnenmacher suchte nach den richtigen Worten, »… das Paradies auf Erden. Hier ist die Welt noch in Ordnung, und keiner hat einen Grund, sich umzubringen.«
    Â»Und wie hat der Mann sich umgebracht?«, fragte Anne interessiert.
    Â»Aufgehängt.« Nonnenmacher wurde dieses Gespräch etwas lästig, auch wegen der vielen Fragerei, und weil die Neue durch diesen Start ja einen völlig falschen Eindruck vom Alltag hier bekommen konnte. Deshalb meinte er: »Aber soll ich Ihnen nicht erst einmal unsere Polizeidienststelle zeigen? Sie bekommen natürlich einen eigenen Schreibtisch mit Telefon und PC , wir sind hier in der Ermittlungsgruppe ja nur zu dritt – und ich selbst bin nebenbei auch noch Dienststellenleiter und von dem her nur halb für die Ermittlungen einsetzbar, weil ich eben einiges an Verwaltungsarbeit zu tun hab’.«
    Nonnenmacher führte Anne in den Nebenraum.
    Â»Das ist der Kastner Sepp – Sepp, das ist die Frau Loop, die heute bei uns anfängt.«
    Etwas zu abrupt stand der Angesprochene auf, eine Akte rutschte vom Tisch, Blätter flogen auf. Die Hand, die er Anne zur Begrüßung reichte, war feucht. Kastner war aufgeregt, das sah man.
    Â»Grüß Gott, Frau Loop«, sagte Kastner und starrte Anne an.
    Â»Guten Tag, Herr Kastner«, sagte Anne und musterte den blonden Kollegen mit der breiten Nase. Dann befreite sie ihre Hand aus seinem Griff, da er keine Anstalten machte, sie loszulassen. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Und das stimmte wirklich.
    Â»Ja, und das wär’ Ihr neues Zuhause hier«, schaltete sich Nonnenmacher dazwischen, indem er auf den Platz gegenüber Sepp Kastners Tisch wies. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Kastner bei Anne Loops Anblick beinahe die Augen aus den Höhlen fielen. »Sie können sich hier ausbreiten, wie Sie wollen. Wir wollen, dass Sie sich hier wohlfühlen, quasi wie daheim.«
    Sepp Kastner lachte etwas unbeholfen über Nonnenmachers »Scherz«, während Anne nur schmunzelte. Das Ganze war ein bisschen verkrampft, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass die zwei ihr nichts Böses wollten. Mit den beiden würde sie schon klarkommen.
    Â»So, dann zeige ich Ihnen noch den Rest unserer Inspektion.«
    Â»Das kann ich auch machen«, stieß Sepp Kastner hastig und unsouverän hervor.
    Â»Nein, nein, das mach’ ich schon, Seppi«, sagte Nonnenmacher und stellte mit dem verkleinernden »i« die Hierarchie klar. »Halt du die Stellung am Telefon. Wer weiß, was heut noch alles für Untatenmeldungen hereinschneien, wenn die Frau Loop bei uns anfängt.« Wieder war Kastner der Einzige, der lachte.
    Nonnenmacher führte Anne zurück ins Erdgeschoss, zeigte ihr erst den Vorraum mit der Empfangstheke, den sie schon kannte, dann das direkt dahinter liegende Dienstgruppenleiterzimmer mit den Einsatzcomputern und den Funkgeräten sowie die Vernehmungsräume, um sie anschließend wieder in den ersten Stock und in sein Büro zu führen.
    Â»So, jetza, und das ist mein kleines Reich. Aber Sie können immer hereinkommen, also auch ohne Anklopfen. Die Tür soll aber immer zu sein, weil auf dem Gang auch mal was los ist, wenn ein Trupp Illegale, oder was weiß ich, vernommen werden oder ein paar aufg’scheuchte Touristen, wo das Fahrrad oder das Surfbrett weggekommen ist, und da wird man dann dauernd gestört. Aber wir Kollegen im Ermittlungsdienst, also der Sepp und ich und Sie jetzt auch, wir tun praktisch so, als wäre die Tür immer offen.« Nonnenmacher tippte sich mit dem Zeigefinger auf den Kopf, um zu zeigen, dass dies ein normaler Akt der Phantasie sei.
    Â»Ach, Sie haben Kinder?«, stellte Anne fest, als sie die Familienfotos auf Nonnenmachers Schreibtisch erblickte.
    Â»Ja, zwei, und eine Frau.«
    Â»Na, da haben Sie ja was zu tun.«
    Â»Jaja«, lachte Nonnenmacher. »Kinder machen Arbeit, aber auch Freude, das werden Sie auch noch sehen, wenn Sie einmal welche haben.«
    Â»Ich habe eine Tochter.«
    Â»Sie haben eine Tochter?«
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