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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften
Autoren: Jörg Steinleitner
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Nonnenmacher war überrascht. »Aber in Ihrer Personalakte steht, dass Sie …«
    Â»â€¦Â ledig sind?«, ergänzte Anne lächelnd. »Schwanger werden geht ja bekanntlich trotzdem«, sagte sie anzüglicher als beabsichtigt. »Lisa ist fünf und geht seit heute in den Kindergarten in Tegernsee.«
    Â»Ach so«, sagte Nonnenmacher und beschloss, vorerst nicht tiefer in diese Thematik einzudringen. Letztlich ging ihn das Privatleben seiner Mitarbeiter nichts an. Stattdessen wechselte er etwas ungeschickt in einen sachlicheren Ton.
    Â»Nun denn, unser Revier, also unsere Zuständigkeiten und Örtlichkeiten, werden Sie dann im Lauf der Zeit noch kennenlernen. Jedenfalls sind wir für die Sicherheit von insgesamt dreißigtausend Menschen und zahlreichen Urlaubsgästen in Tegernsee, Wiessee, Kreuth, Rottach-Egern, Gmund und Waakirchen zuständig. Das klingt viel, aber das Angenehme hier ist ja, dass bei uns außer Verkehrsunfällen, Kaufhausdiebstählen und Sachbeschädigungen an sich nicht viel passiert. Man kann also sagen, dass wir eine … häm«, er räusperte sich, »ruhige Kugel schieben, wenn man so will. Deswegen überlege ich jetzt auch gerade, was Sie eigentlich heute noch machen könnten, damit Ihnen der Start bei uns auch Spaß macht …«
    Â»Was ist denn mit der Selbstmordakte?«, fragte Anne forsch.
    Â»Ach die, ja die … die ist geschlossen.«
    Â»Dürfte ich da, wenn also gerade nichts Wichtigeres anliegt, also dürfte ich da vielleicht einmal einen Blick hineinwerfen, vor allem, weil es um einen Ureinwohner von Tegernsee geht?«
    Â»Ja klar können Sie das, bloß, ich sage Ihnen gleich, viel zu holen ist da nicht. Ich war heute Vormittag selbst vor Ort, der Arzt war auch da. Der Ferdl hat sich aufgehängt, fertig aus. Schrecklich für die Familie, traurig für mich, nicht gut für unsern See, aber leider wahr. Hat er halt nicht mehr wollen, der Ferdl.« Nonnenmacher zuckte ratlos mit den Schultern.
    Draußen donnerte ein Traktor vorbei. Die beiden gingen zurück in den Empfangsraum. Nonnenmacher nahm noch ein Blatt aus dem Drucker und steckte es in die Akte, die er dann Anne in die Hand drückte.
    Â»Ach so, und die Damentoilette ist dahinten, und im Keller sind noch der Fitnessraum und die Umkleiden – Frauen und Männer natürlich getrennt. Und falls Sie mal jemanden festnehmen, dann gibt’s da auch noch zwei Arrestzellen. Die brauchen wir auch manchmal, bei dem ein oder anderen Waldfest gibt’s schon mal ein paar Besoffene, die wir dann vor sich selbst schützen müssen.«
    Anne nahm die Akte und ging in ihr neues Büro, in dem Sepp Kastner noch immer in den Computer tippte, Zeigefinger linke Hand, Zeigefinger rechte Hand, Daumen rechte Hand.
    Â»So, ja, das ist schön, dass Sie jetzt da sind«, sagte Kastner geschäftig. »Und schon gleich ein echter Kriminalfall, he?« Er deutete mit dem Zeigefinger seiner blassen rechten Hand auf die Akte in Annes Hand.
    Â»Ja, der Selbstmord«, antwortete Anne ernst.
    Â»Ach so, ja, das ist schon schade. Der Kurt, also der Herr Nonnenmacher, kennt den Ferdl – äh – hat den Ferdl ja auch gekannt. Seine Frau hat gestern Abend noch hier angerufen und gesagt, dass er, also der Ferdl, nicht nach Hause gekommen ist.«
    Â»Und Sie haben dann gleich eine Fahndung ausgelöst.«
    Â»Nein, der Kurt, also der, äh, Herr Nonnenmacher, hatte schon Feierabend und entschieden, dass man eine Nacht zuwartet.«
    Â»Und Sie?«
    Â»Und ich habe dann auch zugewartet, der Kurt, also der Herr Nonnenmacher, ist ja auch mein, also unser, Chef, selbst wenn er gerade Feierabend hat. Und ich hatte ja hier die Spätschicht und war allein, konnte also sowieso nicht weg. Einer muss am Telefon sein, falls es einen Streit gibt oder Ruhestörung.«
    Â»Aber sind denn nicht rund um die Uhr Kollegen auf Streife?«
    Â»Doch, klar, die vom Schichtdienst halt, aber … also, die mussten nach Gmund, weil da Jugendliche bei der Statue von dem Schriftsteller herumrandaliert haben.«
    Â»Thomas Mann?«
    Â»Ja, irgendein Mann, der Bücher schrieb. Der steht da so am Ufer mit einem Hund, ich glaub’, aus Eisen oder Bronze.«
    Anne merkte, dass sich Kastner im Verlauf des Gesprächs zunehmend unwohl fühlte, und so verwunderte es sie nicht, als er plötzlich aufsprang und rief:
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