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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften
Autoren: Jörg Steinleitner
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gibt’s ja wohl gar nicht, so ein Luder!«
    Sie sah ihre Tochter ernst an. »Stimmt das, Lisa?«
    Die Kleine nickte und fing plötzlich an zu weinen. Anne nahm sie in die Arme. »Aber warum denn?«
    Â»Der hat, der hat …«, schluchzte sie, »… der hat mich nicht in Ruhe gelassen.«
    Â»Ich habe bloß mit ihr reden wollen«, verteidigte sich Kastner, immer noch am Boden kauernd.
    Â»Na, deshalb wird sie dich ja wohl nicht getreten haben«, entgegnete Anne leicht aggressiv.
    Â»Der hat mich festgehalten«, presste Lisa jetzt hervor.
    Â»Ja, aber nur, weil sie mir eine reingehauen hat, in den Bauch.«
    Es überstieg für den Augenblick Annes Fähigkeit, sich das Szenario vorzustellen, das sich in der kurzen Zeit, in der sie Nonnenmachers beachtliche Mediatorenfähigkeiten hatte kennenlernen dürfen, aus dem Nichts hochgeschaukelt haben musste.
    Â»Aber das musste ich ja auch, weil der hat mich gefragt, wo mein richtiger Papa ist.«
    Anne sah Kastner strafend an. »Stimmt das, Sepp?«
    Â»Ich habe nur gemeint, ob sie nicht vielleicht einmal einen richtigen Papa haben will.« Nach kurzem Zögern fügte Sepp, der im Grunde ein ehrlicher Mensch war, hinzu: »Es kann sein, dass es dabei auch zu einem Gespräch darüber kam, wo ihr leiblicher Vater ist, das stimmt schon, aber deswegen muss sie mir ja nicht gleich an meine empfindlichste Stelle treten.«
    Â»Vielleicht hast du sie ja auch an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen?«, erwiderte Anne, nun schon versöhnlicher. Dann forderte sie Lisa auf, Kastner die Hand zu geben und sich zu entschuldigen. Doch das lehnte diese mit energischem Kopfschütteln ab und verbarg ihren Kopf an Annes Seite.
    Â»Lisa«, sagte Anne streng, »du hast Sepp wehgetan. Gib ihm die Hand und entschuldige dich.«
    Nach einer kurzen Pause kam es leise zurück: »Aber nur entschuldigen, nicht Hand geben.«
    Während Anne sich fragte, womit sie sich diesen ganzen Alltagswahnsinn verdient habe, hatte Sepp Kastner sich wieder aus der Hockstellung aufgerafft und seine Beine ausgeschüttelt. Mit bösem Blick hatte er Mutter und Tochter umrundet und war zu Annes Platz gehumpelt, wo die beiden Kammerjägerblätter lagen. Stehend starrte er auf den in zwei Teile gerissenen Zettel.
    Genau in diesem Augenblick kämpfte sich ein Sonnenstrahl durch die dichte Wolkendecke des Regentages hindurch und erhellte das kleine Stück Schreibtisch, auf dem das Dokument lag. Und plötzlich murmelte Kastner leise: »Das gibt’s doch nicht, Anne, das gibt’s doch nicht. Schau mal, komm mal schnell her!«
    Â»Was ist denn?«, fragte seine Kollegin, rührte sich aber nicht vom Fleck, weil Lisa sich noch immer an sie drängte.
    Â»Jetzt komm halt mal her, das gibt’s ja gar nicht, unglaublich, das ist die Lösung vom Fichtner-Fall!«
    Schnell löste sie sich aus der Umklammerung ihrer Tochter, ging zu ihrem Kollegen hinüber und blickte auf den Zettel. Doch Anne konnte darauf nichts entdecken, was sie nicht schon vorher gesehen hätte.
    Â»Was meinst du?«, fragte sie verständnislos.
    Â»Schau, dort, da kann man eine Schrift unter der Schrift lesen«, erklärte Kastner. »Also, wenn der Lichteinfall stimmt und man richtig steht, dann kann man es lesen, da oben, in dem weißen Bereich, wo nichts geschrieben steht, da hat’s doch den Namen ›Fichtner‹ eingedrückt, oder was meinst du?«
    Anne schob ihn ein wenig beiseite, und dann erkannte auch sie es: Auf dem Blatt waren zarte Abdrücke einer Schrift, die vermutlich auf ein anderes, darüber liegendes Blatt geschrieben worden war und sich durchgedrückt hatte. Und tatsächlich konnte sie das Wort »Fichtner« erkennen. Außerdem »Herr Nagel«, »Herr Hörwangl«, und ganz am Ende stand »Gez. Kürschner«. Den Mittelteil konnten sie leider nicht lesen, weil dort der Brief der Kammerjäger an Kürschner das Durchgedrückte überdeckte.
    Â»Das ist ein Brief von Kürschner an die Kammerjäger«, schlussfolgerte Anne. »Der Fall ist noch nicht abgeschlossen.«
    Â»Genau, und der Brief wurde auf ein Blatt geschrieben, das sich weiter oben in dem Block von dieser Bank befand«, ergänzte Kastner.
    Und Anne sinnierte: »Jetzt wäre es nur noch interessant, herauszufinden, was in dem Brief steht.« Sie hielt das Blatt in unterschiedlichen
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