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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde
Autoren: Christiane Suckert
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wieder einen Geldschein. Den nehme ich dankbar an, denn ich habe beschlossen, nach dem Babyjahr zu Hause zu bleiben und mich um meine Familie zu kümmern. Auch wenn es so gar nicht üblich ist, nur Mutter und Hausfrau zu sein und mir klar ist, dass mich dieser Entschluss ins Gerede bringen wird.
    „Hör mal Georg, ich würde gerne, bis die Kleine drei Jahre ist, zuhause bleiben. Denkst du, wir schaffen das finanziell?“
    „Daran habe ich auch schon gedacht“, antwortet er, „wir könnten Kaninchen züchten. Platz für einen kleinen Hühnerstall hätten wir auch. Eier vom Lande verkaufen sich gut.“
    „Ja, und ich könnte Blumen an Gaststätten verkaufen. Außerdem könnte ich an den Wochenenden im Café abwaschen gehen. Ich habe mich schon mal erkundigt. Die suchen jemanden, der für ein paar Stunden abends aushilft. Da bist du ja da. Du bist also einverstanden?“
    Georg greift nach meiner Hand und nickt zustimmend.
    Ich lächle ihn an und sage: „Jetzt muss ich mich aber sputen, muss noch die Kuchen backen für morgen. Meinst du, dass drei Kuchen reichen werden? Den Kartoffelsalat muss ich auch noch vorbereiten.“
    Georg nimmt mich in den Arm: „Wie schnell doch so ein Jahr vergeht. Kaum zu glauben, dass unsere Lilly schon ein Jahr alt wird. Ich denke, drei Kuchen werden reichen. Ich würde dir ja gern helfen, aber ich muss zur Vorstandsitzung.“
    Ich nicke verständnisvoll und mache mich an die Arbeit.
     
    Wenige Stunden später schaut mich Georg entsetzt an und nimmt mir das Messer aus der Hand. „Warum hast du denn den Kuchen massakriert? Und wie siehst du überhaupt aus?“
    „Ich muss doch den Kuchen schneiden für Lillys Geburtstag“ sage ich kraftlos und spüre, wie mir die Knie weich werden. Georg schleift mich ins Wohnzimmer, dort verliere ich mein Bewusstsein.
    „Juliane, Juliane“ höre ich aus weiter Ferne rufen. In meinem Körper kribbelt es. Hält mir jemand die Augen zu? Ich möchte sie öffnen, kann es aber nicht. Langsam komme ich zu mir. Mich fröstelt, ich spüre kalten Schweiß auf meinem Körper.
    „Was ist los mit dir?“ Georg wirkt verunsichert. In meinem Kopf herrscht Leere und dann sage ich, als wäre es das Normalste der Welt, „Lilly atmet nicht mehr. Wir müssen Stefan und Paul aus dem Trainingslager holen. Ich habe gar kein schwarzes Kleid.“
    „Bist du von Sinnen?“, schreit mich Georg an und rennt aus dem Zimmer.
    Nachdem der Notarzt und die Genossen der Kriminalpolizei das Haus verlassen haben, beginne ich zu realisieren, dass unsere kleine Tochter am plötzlichen Kindstod gestorben ist. Die ersten Tage hatte ich keine Tränen, dafür Augen um die vorwurfsvollen Blicke Georgs zu sehen. Lange Zeit kann ich Lillys Zimmer nicht betreten. Das Lachen ist aus unserem Haus ausgezogen. Zwischen Georg und mir baut sich eine gläserne Mauer auf. Wohl kann der eine den anderen sehen, aber wir nehmen uns nicht wahr. Und weil ich begreife, dass wir an dieser Trauer zu ersticken drohen, suche ich nach Möglichkeiten und Wegen, ins Leben zurückzukehren.
    „Möchtest du mich zum Friedhof begleiten?“, frage ich Georg.
    Er nickt.
    „Dann schneide ich noch ein paar Rosen, holst du bitte schon die Fahrräder?“
    Auch diesmal nickt er nur.
    Ich stelle mich vor ihn und greife nach seiner Hand. Er zieht sie zurück. „Georg“, sage ich, „es wird Zeit, dass wir wieder zueinander finden. Lilly hat uns ein Geschenk hinterlassen. Das sollten wir dankend annehmen.“
    „Was für ein Geschenk?“ Seine Stimme klingt resigniert.
    „Durch ihren Tod habe ich begriffen, wie vergänglich dieses kurze Leben ist. Man aast mit der Zeit, als wäre sie in unerschöpflichem Maße da. Ihr Tod hat mich feinfühliger gemacht. Empfänglicher für die kleinen Glücksmomente. Wie dieser Strauß Rosen hier zum Beispiel. Er ist doch wunderschön.“
    Georg weiß nichts zu entgegen. Sein Blick ist leer und kalt. Er schwingt sich aufs Fahrrad und radelt los.
    Seine Gefühlskälte trifft mich, ich spüre einen scharfen Schmerz in meinem Herzen. In diesem Moment ahne ich, dass ich nicht nur meine Tochter verloren habe, sondern auch meinen Mann.
     
    „Was zum Teufel machst du da?“ Ich hocke neben Georg und scharre mit den Händen ein kleines Loch zwischen den Blumen auf Lillys Grab: „Ich buddle ein Loch.“
    „Ja, das sehe ich. Aber wozu tust du das?“
    Ich greife in meine Hosentasche, hole einige Zettel hervor und blicke zu ihm hoch: „Weil ich all das begraben will, was mich am Leben
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