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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde
Autoren: Christiane Suckert
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dem Gleichgewicht. Obwohl er mir völlig fremd ist, habe ich die Empfindung, als ob ich ihn schon ewig kennen würde. Ich fühle mich von ihm magisch angezogen. In Gedanken sehe ich meine Lippen auf den seinen.
    Ich überspiele meine Unsicherheit, lächle provokant und bin froh, dass ich mich für dieses Gespräch, ganz gegen meine Gewohnheit, gut zurecht gemacht habe.
    „Na, dann lass mal sehen.“ Er streckt mir seine Hand entgegen. Ich will ihm die Mappe reichen, in die ich einige Artikel aus meiner aktiven Zeit als Volkskorrespondentin eingelegt habe. Sie gleitet mir aus der Hand. Meine Artikel liegen nun zu seinen Füßen. Ich springe erschrocken auf. Auch er hat sich aus seinem Sessel erhoben und bückt sich. Seine Lippen sind mir jetzt verführerisch nah. „Tu es“, denke ich.
    Stattdessen lehnt er nun wieder leger in seinem Sessel, überfliegt meine Artikel. Hin und wieder nickt er anerkennend, manchmal kräuselt er die Stirn. Dann legt er meine geistigen Ergüsse beiseite und schaut mich mit seinen stahlblauen Augen an: „Gute Schreibe. Erst in der letzten Redaktionssitzung haben wir beschlossen, eine ständige Kolumne ins Leben zu rufen. Denke, das wäre was für dich, Genossin Leonhardt.“ Dann erklärt er mir, um was es geht.
    Am Ende des Gesprächs bin ich seine Stadtreporterin. Als solche habe ich eine ständige Rubrik in der Sonnabendausgabe. Nettes Stadtgeplauder, aneinander gereihte Episoden, Liebeserklärungen an unsere Stadt.
    Georg nimmt es zufrieden zur Kenntnis.
    Bennet Caspari, mein verantwortlicher Redakteur, verschafft mir zudem Aufträge für die Kulturseite und die Wochenendbeilage. Allmählich bekomme ich in der Stadt einen Namen und mein Selbstbewusstsein, das Georg mit seinen ständigen Attacken in den Boden gestampft hat, fängt langsam an, wieder zu wachsen.
     
    An einem Sonntagmorgen schreit Georg auf. „Er hat sich den frisch gebrühten Kaffee auf die Hose geschüttet. Er hat also noch Leben zwischen den Beinen“, denke ich. „Was macht er damit? Geht er fremd?“
    „Was starrst du mich so an?“, fragt er vorwurfsvoll, so, als hätte ich ihm den Kaffee zwischen die Beine geschüttet.
    „Zieh dich aus und sorge für Kühlung.“
    Georg wirft mir seine Hose zu und läuft ins Bad.
    Ich schaue ihm nach. „Hatte er schon immer solche ausgeprägten O-Beine?“
    Ich beginne, Georg in Gedanken mit Bennet Caspari zu betrügen. Jeden Donnerstag, wenn ich meinen Artikel in der Redaktion abliefere, galoppiert mein Herz. Spürt er denn nicht die urgewaltige sexuelle Energie, die in mir brodelt?
    Ich brenne. Was hat der Mann an sich, dass er mich derart in den Bann zieht? Ich bin nicht mehr ich selbst. Ständig lasse ich mir irgendwelche Vorwände einfallen, um ihn zu hören oder zu sehen. Ich lasse mich treiben und rufe ihn sogar an einem Abend zu Hause an.
    „Caspari“, meldet er sich.
    Ich höre seine Stimme und schmelze dahin. Ich schweige. „Hallo?“ Seine Stimme klingt nun verärgert.
    Ich lege auf, bin aufgewühlt und wütend auf mich. Am nächsten Tag rufe ich in der Redaktion an, sage ihm, dass ich nicht mehr als Stadtreporterin arbeiten kann.
    Bennet schlägt vor, dass wir das noch einmal in Ruhe besprechen sollten.
    Ich treffe mich mit ihm noch am selben Tag nach seinem Feierabend in einem Restaurant. Er winkt mich zu sich. „Was möchtest du trinken?“
    „Am liebsten einen doppelten Cognac“, sage ich.
    Er winkt die Kellnerin zum Tisch.
    „Einen Kaffee, bitte“, sage ich schnell.
    Er lächelt mich an, ich weiche seinem Blick aus. Dann spüre ich seine Hand auf der meinen. Ich bin wie elektrisiert. Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück.
    „Warum willst du das hinschmeißen?“, beginnt er das Gespräch, „der Stadtreporter wird gern gelesen. Du machst das gut, Juliane.“
    Ich presse die Lippen zusammen, aus Angst, das Falsche zu sagen.
    „Soll ich doch einen Cognac bestellen?“
    „Nein“, antworte ich. „Es sind persönliche Gründe.“
    Er schaut verärgert. „Juliane“, sagt er, „wir arbeiten nun schon seit acht Monaten zusammen. Da solltest du wissen, dass ich solche Allgemeinplätze nicht mag. Diese Formulierung benutzt man immer dann, wenn man die Wahrheit verbergen will. Also, warum willst du die Stadtreporterin an den Nagel hängen?“
    Ich drehe den Kopf zur Seite, denn ich kann ihm nicht in die Augen sehen, während ich ihm gestehe: „Du bist der Grund. Ich ertrage es nicht länger, dich zu sehen, ohne dich berühren zu können. Hast du es
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