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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde
Autoren: Christiane Suckert
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empfinde ich den Entzug. Wie Bennet darüber denkt, weiß ich nicht. So wie ich vieles von ihm nicht weiß.
     
    Lautes Geschrei reißt mich aus meinen Gedanken.
    „Dieses dumme Schwein!“ Unsere Nachbarin rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn durch ihren Garten und wiederholt: „Dieses dumme, dumme Schwein!“ Der hing mir ein Leben lang wie ein Klotz am Bein, nur Sorgen hatte ich mit dem. Konnte der nicht einmal etwas Gescheites tun? Das hat der aus Boshaftigkeit gemacht.“ Ohne Punkt und ohne Komma flucht sie ins unschuldige Himmelblau. Ich vermeide es, sie anzusehen. Es ist mir peinlich. Ich gehe auf den Nachbarn des links angrenzenden Grundstückes zu, der ebenfalls unfreiwilliger Zuhörer ist. „Was ist denn in die gefahren?“
    Er sieht mich ratlos an und sagt schließlich: „Gestern Abend war sie noch ganz normal. Wer weiß, was der Olle wieder angerichtet hat. Mit dem hat sie es wirklich nicht leicht, aber das wissen Sie ja. Letztens hat der Suffkopf sogar auf das Sofa gepinkelt.“
    Wenig später kam ein Krankenwagen vorgefahren und hielt vor dem Haus unserer Nachbarin. Wahrscheinlich hatte ihr Mann wieder einen Zuckerschock.
    Paul klärte mich schließlich auf. „Die Dehmel ist ganz schön schräg drauf.“
    „Warum, hat sie schon wieder angefangen zu keifen?“, frage ich interessiert und ziehe den Puddingtopf weg, weil sich Paul darin mit seinem Finger zu schaffen macht.
    „Hm, wenn du die Bemerkung „gerade jetzt kneift der Arsch den Arsch zu“ als keifen bezeichnen willst, dann hat sie gekeift. Jedenfalls hat sie sich so über das Ableben ihres lieben Alfreds gegenüber der Frau Voigt geäußert.“
    „Der Dehmel ist tot?“, schüttelte ich den Kopf und denke, „so unterschiedlich gehen wir mit der Trauer um. Für die Dehmel ist der Tod ihres Mannes bestimmt eine Erlösung. Aber muss sie das auf diese Weise der gesamten Siedlung kundtun?“ Ich weiß, dass sie jeden Pfennig vor ihm versteckte, damit er das Geld nicht ins Wirtshaus trägt. Sie ist es, die sich neben voller Berufstätigkeit um die vier Kinder kümmert, Haus und Hof in Schwung hält. Aber wenigstens fand die finanzielle Not ein Ende, denn wenige Wochen vor dem Tod ihres Alfreds erbte sie ein kleines Vermögen von ihrer Mutter. Das ist es, was die Frau zur Furie macht. Nicht der Tod ihres Alfreds bringt sie aus dem Gleichgewicht. Es ist der Todeszeitpunkt. Alfred Dehmel schleicht sich einen Tag vor der Währungsunion aus dem Leben. Und das nimmt sie ihm übel. Vertan die Chance, seine Viertausend Mark Ost gegen Viertausend Mark West im Verhältnis eins zu eins umtauschen zu können. Wäre es einige Wochen zuvor geschehen, hätte sie schon noch jemanden gefunden, der Alfreds Ostmarker auf einem rasch eröffneten Konto deponiert. Besser wäre es gewesen, er hätte seinen letzten Gang nach der Währungsunion angetreten. So also betrachtet es die Witwe Dehmel als böswilligen Akt und tut der gesamten Siedlung kund, wie unverfroren doch ihr Alfred sei.
     
    Es ist offiziell. Die Deutsche Mark hält Einzug ins ostdeutsche Ländchen und mit ihr eine bis dahin nicht gekannte Welle des Konsumschocks. Täglich quillt der Briefkasten über. Bunte, schöne Werbeblättchen zeigen der ostdeutschen Hausfrau, was ihr bis dahin alles zum vollkommenen Glück gefehlt hat. Teppichverkäufer und Scherenschleifer geben sich die Türklinke in die Hand und nun kann man sich auch endlich ausreichend gegen alles versichern. Endlich haben die Menschen wieder Gelegenheit, miteinander zu kommunizieren. Über die vielen Sorten von Joghurt zum Beispiel oder darüber wie man eine Litschi isst.
     
     
    Die Zeit eilt davon. West- und Ostdeutschland vereinigen sich. Ich sitze in der Küche, rauche eine Zigarette und trinke einen Kräuterlikör. Georg kommt rein. Und ehe er wieder hinaushuscht, spreche ich ihn an: „Warum bist du eigentlich in die Partei gegangen?
    Georg zieht die Stirn kraus, als hätte er die Frage nicht verstanden. Dann sagt er: „Weil mir der Parteisekretär meines Betriebes pausenlos auf den Nerv ging. Irgendwann hatte ich keine Ausreden mehr.“
    „Mhhh, das ging wohl vielen so. Siehst du, und ich habe bitter darum gekämpft, dass ich Mitglied dieser „großartigen“ Partei werden durfte. Mich wollten die gar nicht. Ich war kein Arbeiterkind und lernte auch keinen Beruf, der mich zur Arbeiterklasse zählte. Ich wollte mit achtzehn in die Partei, weil ich mir dachte, dass ich mal Kinder kriegen würde. Und diese Kinder sollten in
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