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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht
Autoren: Luanne Rice
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dem Rand der Gabel aufsammelte und in den Mund schob.
    »Habe ich es nicht gleich gesagt? Der Zucker ist Gift für sie«, meinte Sylvie vorwurfsvoll. Sie nahm Margaret den leeren Teller aus der Hand und stellte ihn mit einem lauten Scheppern auf den Schreibtisch. Dann ging sie schnurstracks zur Frisierkommode hinüber, die für die Nutzung in einem Krankenzimmer umgerüstet worden war, und kramte in einer der Schubladen, auf der Suche nach dem Testset.
    »Ich fühle mich ein wenig benommen.« Margaret war froh, sich an einen Stapel Kissen lehnen zu können. Sie waren mit Daunen gefüllt, weich wie Wolken, die weißen Kissenbezüge mit Lochstickerei versehen. Sylvie wusste, dass Margaret ein Faible für weiße Bettwäsche hatte, und nahm auf die Vorliebe ihrer Mutter Rücksicht. Margaret seufzte, spürte, wie sich der Raum drehte. Sie wusste, dass ihr Zustand weniger mit dem Zuckerspiegel als vielmehr mit der Spannung zwischen ihren beiden Töchtern zu tun hatte, die sie unterschwellig wahrnahm.
    »Mom.« Jane stellte ihren Teller hin und ergriff Margarets Hand.
    »Entschuldige.« Sylvie schob sie zur Seite, um bei Margaret die Insta-Test-Lanzette anzusetzen.
    Margaret schloss die Augen. Warum hatte sie die Frage gestellt? Wie kam sie überhaupt darauf? Sie hatte zwei Töchter – alles, was sich ein Mensch nur wünschen konnte. Sie sah sich wieder als Zehnjährige, mit Lolly, ihrer heißgeliebten Babypuppe. Ihre Eltern hatten sie zu einem Picknick auf den Watch Hill mitgenommen. Sie waren Karussell gefahren, hatten in den Wellen gespielt und Zitroneneis gegessen. Plötzlich war ein Gewitter heraufgezogen, und ihre Eltern hatten sie derart zur Eile angetrieben, um trocken ins Auto zu gelangen, dass Lolly liegen geblieben war, auf einer Bank im strömenden Regen.
    »Ich habe sie zurückgelassen«, sagte Margaret zitternd.
    »Wen, Mom?« Jane hielt noch immer ihre Hand.
    »Lolly. Meine Puppe. Könntest du sie für mich suchen?«
    »Dein verlorenes Baby?«, fragte Jane traurig.
    »Hör auf damit!«, sagte Sylvie.
    Jane ließ sich nicht beirren. »Natürlich suche ich sie für dich.«
    »Sie soll auch ein Stück Torte bekommen.« Margaret lächelte.
    »Natürlich«, versprach Jane.
    »Schaut euch das an, zweieinundvierzig«, sagte Sylvie und streckte ihnen das digitale Messgerät zur Begutachtung entgegen. »Zu hoch. Ich bin froh, dass wir alle ein Stück Torte hatten, aber von jetzt an wird wieder strikt Diät gehalten, einverstanden?«
    »Klar«, erklärte Jane. Sie drückte Margarets Hand, dann stand sie auf und reckte sich. Dabei rutschte das T-Shirt aus der schwarzen Jeans, entblößte einen Streifen Bauch. Margaret streckte die Hand aus, um sie zu kitzeln, und Jane lächelte.
    »Das habe ich immer gemacht, als du klein warst.«
    Jane nickte. Ihre Blicke trafen sich, und Margaret hatte das widersinnige Gefühl, in die Vergangenheit zurückzukehren, zu Janes Geburt … ein Säugling, eine Babypuppe, zum Leben erwacht. Margaret hatte jede Gelegenheit genutzt, sie in den Armen zu halten. Sie hätte sie am liebsten nie mehr aus der Hand gegeben. Wenn sie in die dunkelblauen Augen ihres Kindes sah, hätte sie schwören mögen, darin die kollektive Weisheit aller Frauen seit Anbeginn der Zeit zu entdecken. Kein Baby hatte jemals einen so klaren, kühlen Blick besessen. Und er war Jane noch heute zu eigen …
    »Du bist eine alte Seele«, sagte Margaret.
    »Bin ich das?«
    Margaret nickte. Wenn sie ihrer ältesten Tochter in die Augen sah, spürte sie, wie sich die Welt drehte. Sylvie sagte kein Wort, aber Margaret merkte, wie sie sie beide beobachtete. Ihre Töchter waren bezaubernd – klug und erfolgreich. Aber ihnen schien es an Selbstsicherheit zu mangeln.
    Margaret schrieb sich selbst die Schuld daran zu. Sie hatte in gewisser Hinsicht dazu beigetragen, sie gegenüber anderen zu benachteiligen. Zum einen durch die Wahl ihres Ehemannes. Der Vater der Mädchen war … ein unzulänglicher Mensch gewesen. Ein Handlungsreisender, ein attraktiver Windhund, der nach Lust und Laune gekommen und gegangen war. Meistens gegangen. Margaret hatte schon nach kurzer Zeit festgestellt, dass sie mitarbeiten musste, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Als Absolventin der Salve Regina hatte sie die Ordensschwestern um Rat gebeten. Sie hatten ihr vorgeschlagen, Pädagogik zu studieren, das Examen als Lehrerin an einer höheren Schule abzulegen und gleichzeitig als Teilzeitkraft zu unterrichten, vielleicht an einer
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