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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht
Autoren: Luanne Rice
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bisweilen sogar als Hindernis. Deshalb stiegen sie schweigend in den Wagen. Sylvie suchte einen Sender im Radio, der klassische Musik brachte. Jane stellte ihn genauer ein, wandte ihr Gesicht zum Fenster und hielt die weiße Tortenschachtel auf ihrem Schoß fest.
    Im Vorbeifahren musterte sie die Fenster der Häuser und Autos, die Gesichter der Passanten auf der Straße. Sie konnte nicht anders. Kaum war sie zehn Minuten in Twin Rivers, tat sie bereits, was Sylvie missbilligt hätte. Jane wusste nicht, wohin sie schauen sollte, aber ihre Gedanken kehrten unwillkürlich in die Vergangenheit zurück.
    Falls Sylvie ihr den Wagen leihen würde, würde sie morgen nach Crofton fahren.

Kapitel 2
    M argaret setzte sich im Bett auf, das weiße Weidentablett auf den Beinen, und betrachtete die köstlichste Torte, die sie jemals gesehen hatte.
    »Sie ist zu scheu zum Essen.« Sie verschränkte die Hände wie zum Gebet.
    »Schön«, berichtigte Sylvie.
    »Ja, natürlich.« Margaret betrachtete das Kunstwerk. Es sah aus wie ein Vogelnest. Braune miteinander verwobene Zweige und Gräser, Stäbchen aus gesponnenem Zucker, die an den Rändern und auf der Oberseite herausragten – und drei blaue Eier, die darin lagen. »Ein Rotkehlchennest.« Sie blickte Jane an. »Und du hast es den ganzen Weg von New York hierher gebracht?«
    Jane nickte. Sie sah schmal aus. Ihre Haut war blass, beinahe durchscheinend. Die glatten Haare waren kurz über den Schultern gerade geschnitten. Sie waren beinahe schwarz, von der gleichen Farbe wie die dunkelsten Zweige im Vogelnest. Neben ihr schimmerte Sylvies blonder Schopf.
    »Kaum zu glauben, dass es gebacken ist«, sagte Margaret. Sie bohrte den Finger in den Tortenrand, schien ernsthaft erwartet zu haben, kratzendes, trockenes Gras vorzufinden, als sie auf weiche Zuckerglasur und Kuchenteig stieß. Sie schickte sich gerade an, ihren Finger abzulecken, als Sylvie ihr mit einem Papiertuch zu Leibe rückte.
    »Sylvie!«
    »Dein Zucker ist heute ziemlich hoch, Mom.« Sylvie wischte ihr den Finger ab. »Du wirst dich darauf beschränken müssen, den Anblick zu genießen.«
    »Was soll das bringen, wenn man eine Torte nur
betrachtet?
« Margaret sah Jane an, gekränkt und peinlich berührt. »Warum hast du dir überhaupt die Mühe gemacht, eine Torte für mich zu backen, wenn du wusstest, dass ich sie nicht essen darf?«
    »Ich dachte, gegen ein Stück sei nichts einzuwenden.«
    Ein wortloses Familien-Palaver folgte. Blicke, die zwischen den Töchtern ausgetauscht wurden, ein flehendes Lächeln auf Margarets Lippen, ein Schulterzucken von Sylvie.
    »Also gut, ein Stück. Ein schmales«, gestand Sylvie ihr zu.
    Jane waltete ihres Amtes. Mit dem silbernen Tortenmesser, einer filigranen Erinnerung an Margarets Hochzeit mit dem Vater der beiden Mädchen, schnitt sie gekonnt ein hauchdünnes Stück ab und legte es auf einen Teller. Dann teilte sie größere Portionen für sich selbst und ihre Schwester aus, wobei sie darauf achtete, dass Sylvie eines der blauen Eier erhielt. »Eine zwei Tage alte Torte hat auch ihr Gutes«, schmunzelte Jane. »Sie lässt sich wesentlich besser schneiden.«
    »Mmmm.« Margaret ließ die Glasur auf ihrer Zunge zergehen. »Schmeckt herrlich.«
    »Stimmt«, pflichtete Sylvie ihr bei.
    Jane lächelte zufrieden. Die drei aßen schweigend. Margaret hatte seit langem keinen solchen Leckerbissen mehr genossen.
    »Eine Frage«, sagte Margaret. »Wieso liegen drei Eier im Nest?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Jane. »Wahrscheinlich habe ich dabei an Zugvögel gedacht … die wegfliegen, in weite Ferne, aber irgendwann nach Hause zurückkehren.«
    »Zwei würden mir eher einleuchten. Ein Ei für dich, eines für Sylvie. Meine Küken.«
    »Küken.« Sylvie lächelte ihre Schwester an. »So hat Mom uns früher schon immer genannt. Erinnerst du dich?«
    »Aber warum ausgerechnet
drei
Eier? Wo ich doch nur zwei Töchter habe.« Margaret sah sich genötigt, diese Frage zu stellen, obwohl sie nicht genau wusste, warum, irgendetwas bereitete ihr Kopfzerbrechen.
    »Eins für Jane, eins für mich und eins für dich«, schlug Sylvie vor.
    »Vermutlich wegen der ausgewogenen Komposition«, sagte Jane.
    »Ja«, stimmte Sylvie zu. »Das ist schließlich ein künstlerisches Meisterwerk.«
    »Oder eins für das verlorene Baby«, warf Margaret ein.
    Jane antwortete nicht. Sie hob weder den Blick, noch hörte sie auf, ihre Torte zu essen. Margaret sah, wie sie geistesabwesend die goldgelben Krümel mit
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