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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Leben nicht erfahren im Bewältigen von Kummer und im Wiedererlangen der Selbstbeherrschung?
    »Wir fanden, das war hart«, sagte sie schließlich. »Lou und ich fanden, das war hart.«
    Ist das die letzte Funktion alter Frauen, außer Lumpenteppiche anzufertigen und uns Fünf-Dollar-Scheinezuzustecken – dafür zu sorgen, dass die Gespenster, die wir uns erworben haben, uns nicht verlassen, uns allesamt erhalten bleiben?
    Sie hatte Angst vor Maddy – hatte sich aus Angst endgültig von ihr losgesagt. Ich dachte an das, was Maddy gesagt hatte: Niemand spricht dieselbe Sprache.
    Als ich nach Hause kam, war Maddy in der hinteren Küche und machte einen Salat. Rechtecke aus Sonnenlicht lagen auf dem rauen Linoleum. Sie hatte ihre hochhackigen Schuhe ausgezogen und stand barfuß da. Die hintere Küche ist ein großer, unordentlicher, angenehmer Raum, von dem aus man über den Herd und die trocknenden Geschirrhandtücher hinweg auf den abfallenden hinteren Garten, den Bahnhof und den goldenen, morastigen Fluss blickt, der die Stadt Jubilee nahezu umschließt. Meine Kinder, die von dem anderen Haus ein wenig eingeschüchtert worden waren, fingen sofort an, unter dem Tisch zu spielen.
    »Wo bist du gewesen?«, fragte Maddy.
    »Nirgendwo. Nur die Tanten besuchen.«
    »Ach, und wie geht’s ihnen?«
    »Gut. Sie sind unverwüstlich.«
    »Ist wahr? Ja, kann sein. Ich war seit einiger Zeit nicht mehr bei ihnen. Ich sehe sie nicht mehr so oft.«
    »Ach, nein?«, fragte ich, und Maddy wusste, was sie mir erzählt hatten.
    »Sie gingen mir nach der Beerdigung ein bisschen auf die Nerven. Und Fred hat mir dann die Stellung besorgt, ich hatte einfach zu viel zu tun …« Sie sah mich an, wartete, was ich sagen würde, lächelte ein wenig spöttisch, geduldig.
    »Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, Maddy«, sagte ich leise. Währenddessen rannten die Kinder herum und kreischten sich zwischen unseren Beinen an.
    »Ich habe kein schlechtes Gewissen«, sagte sie. »Wo hast du denn das her? Ich habe kein schlechtes Gewissen.« Sie ging, um das Radio anzustellen, und sprach zu mir über die Schulter. »Fred wird mit uns essen, er ist gerade wieder solo. Ich habe ein paar Himbeeren als Nachspeise. Die Himbeeren sind für dieses Jahr fast vorbei. Findest du, die hier sehen noch gut aus?«
    »Ich finde, ja«, sagte ich. »Soll ich das fertig machen?«
    »Schön«, sagte sie. »Dann gehe ich eine Schüssel holen.«
    Sie ging ins Esszimmer und kam mit einer Schüssel aus geschliffenem rosa Glas für die Himbeeren zurück.
    »Ich konnte nicht mehr«, sagte sie. »Ich wollte mein eigenes Leben.«
    Sie stand auf der Schwelle zwischen der Küche und dem Esszimmer und konnte plötzlich die Schüssel nicht mehr festhalten, sei es, weil ihre Hände angefangen hatten zu zittern oder weil sie sie von vornherein nicht richtig gegriffen hatte; es war eine ziemlich schwere und reich verzierte alte Schüssel. Sie glitt ihr aus den Händen, Maddy versuchte noch, sie zu fangen, doch sie zerbrach auf dem Fußboden.
    Maddy fing an zu lachen. »Ach, zur Hölle«, sagte sie. »Ach, Helen, ach, zur Hölle«, sagte sie und benutzte eine unserer alten, dummen rituellen Phrasen, mit denen wir der Verzweiflung Ausdruck gaben. »Nun schau dir an, was ich jetzt wieder gemacht habe. Noch dazu barfuß. Hol mir einen Besen.«
    »Pack dein Leben an, Maddy. Pack es an.«
    »Ja, das mach ich«, sagte Maddy. »Ja, das mach ich.«
    »Geh weg, bleib nicht hier.«
    »Ja, das mach ich.«
    Dann bückte sie sich und begann die rosa Glasscherben aufzulesen. Meine Kinder waren zurückgewichen und sahen sie ängstlich an, während sie lachte und sagte: »Das ist für mich kein Verlust. Ich habe ein ganzes Bord voller Glasschüsseln. Ich habe so viele Glasschüsseln, die reichen bis ans Ende meines Lebens. Steht nicht rum und starrt mich an, holt mir einen Besen!« Ich ging in der Küche umher und suchte den Besen, denn ich hatte vergessen, wo er aufbewahrt wurde, und sie sagte: »Aber warum kann ich es nicht, Helen? Warum kann ich es nicht? «

Tanz der seligen Geister
    Miss Marsalles gibt wieder ein Fest. (Aus musikalischer Integrität oder einem Herzensbedürfnis nach festlicher Gastlichkeit nennt sie es nie ein Konzert.) Meine Mutter ist weder eine erfinderische noch eine überzeugende Lügnerin, und die Ausreden, die ihr einfallen, sind nur allzu dürftig. Die Maler kommen. Freunde aus Ottawa. Bei der armen Carrie müssen die Mandeln raus. Am Ende kann sie nichts
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