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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Madrid kam, hatte ich Tante Julia gesagt: »Ich will versuchen, Schriftsteller zu werden, und werde nur Arbeiten annehmen, die mich nicht von der Literatur fernhalten.« Sie antwortete darauf: »Soll ich meinen Rock raffen, einen Turban aufsetzen, auf die Gran Via gehen und anschaffen?« Ob ich Spanisch in der Berlitz School in Paris gab, Nachrichten für Agence France Presse machte, für die Unesco übersetzte, Filme in den Studios von Génévilliers synchronisierte oder Programme für Radio Télévision Française machte, immer hatte ich einträgliche Tätigkeiten, die mir wenigstens den halben Tag allein zum Schreiben freiließen. Das Problem war, daß sich alles, was ich schrieb, auf Peru bezog. Das machte mich immer unsicherer, weil ich die Perspektive verlor (ich hatte den Hang zur »realistischen« Fiktion). Aber der Gedanke, in Lima zu leben, war mir unvorstellbar. Die Erinnerung an meine sieben Brotberufe in Lima, die uns gerade erlaubten zu leben, aber kaum zu lesen, und bei denen ich nur verstohlen in kleinen Pausen, die mir blieben, schreiben konnte und nur, wenn ich schon müde war, ließen mir die Haare zu Berge stehen, und ich schwor mir, niemals, nicht einmal im Traum, in diesen Zwang zurückzukehren. Außerdem war mir Peru immer wie ein Land mit traurigen Menschen vorgekommen.
    Darum war der Vertrag, den wir zuerst mit der Zeitung »Expreso« und dann mit der Zeitschrift »Caretas« abschlössen, nämlich Artikel gegen zwei Flugtickets pro Jahr, wie von der Vorsehung erdacht. Der Monat, den wir jedes Jahr, gewöhnlich im Winter (Juli oder August), in Peru verbrachten, erlaubte es mir, mich in das Ambiente, die Landschaften, die Wesen zu versenken, über die ich die vergangenen elf Monate zu schreiben versucht hatte. Es war für mich außerordentlich nützlich, ein Energiestoß (ich weiß nicht, ob tatsächlich, aber ohne jeden Zweifel psychologisch), wieder Peruanisch zu hören, um mich herum wieder den Sprüchen, dem Wortschatz, der Intonation zu lauschen, die mich in eine Umgebung versetzten, der ich mich zuinnerst verbunden fühlte, von der ich mich aber entfernt hatte, deren Neuerungen, Untertöne, Schlüsselwörter mir jedes Jahr verlorengingen.
    Die Besuche in Lima waren darum Ferien, in denen ich genau genommen keinen Augenblick ausruhte und von denen ich erschöpft nach Europa zurückkehrte. Allein mit meiner üppigen Verwandtschaft und den zahlreichen Freunden hatten wir täglich Einladungen zum Mittag- und zum Abendessen, und die übrige Zeit nahmen meine dokumentarischen Nachforschungen ein. So machte ich einmal eine Reise in die Gegend des Alto Maranön, um eine Welt, die die Szenerie eines Romans abgab, den ich gerade schrieb, aus der Nähe zu sehen, zu hören und zu spüren; in einem anderen Jahr machte ich, von diensteifrigen Freunden begleitet, eine systematische Forschungsreise durch das Nachtleben: Kabaretts, Bars, Bordelle, in denen das elende Leben des Helden einer anderen Geschichte spielte. Die Arbeit mit dem Vergnügen verbindend – denn die »Recherchen« waren niemals Zwänge oder waren es nur auf eine sehr vitale Weise, Tätigkeiten, die mich um ihrer selbst willen amüsierten und nicht wegen des literarischen Gewinns, den ich daraus ziehen konnte –, unternahm ich auf diesen Reisen Dinge, die ich nie gemacht hatte, als ich in Lima lebte, und die ich jetzt, da ich wieder in Peru lebe, auch nicht tue. Zum Beispiel zu kreolischen Festen gehen oder zu Volkstänzen in den Vergnügungszelten, durch die Armenviertel in den Außenbezirken gehen, durch Gegenden, die ich nur schlecht oder gar nicht kannte, wie Callao, Bajo el Puente und Barrios Altos, bei Pferderennen wetten und in den Katakomben der Kirchen der Kolonialzeit und dem (vermutlichen) Haus der Perricholi herumstöbern. In jenem Jahr hingegen widmete ich mich mehr einer Art Bücherforschung, ich schrieb einen Roman, der in der Zeit von General Manuel Apolinario Odria (1948-1956) spielte, und in meinem Ferienmonat in Lima ging ich ein paar Vormittage pro Woche in das Zeitungsarchiv der Nationalbibliothek, um in den Zeitschriften und Zeitungen jener Jahre zu blättern und mit etwas Masochismus sogar einige der Reden zu lesen, die seine Assistenten (alles Anwälte, der juristischen Rhetorik nach zu urteilen) für den Diktator geschrieben hatten. Wenn ich aus der Nationalbibliothek kam, so gegen Mittag, ging ich zu Fuß die Avenida Abancay hinunter, die sich in einen gewaltigen Markt von fliegenden Händlern verwandelt
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